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Mikis Theodorakis setzt sich heute noch für Politik ein.

© epa/Simela Pantzartzi

Mikis Theodorakis wird 90: Die griechische Symbolfigur

Musiker, Schriftsteller, Rebell: Sein Einsatz für die Gerechtigkeit hat ihn wiederholt an den Rand des Todes geführt und ihn zur griechischen Symbolfigur gemacht: Zum 90. Geburtstag von Mikis Theodorakis.

Michalis, das ist doch ein bäurischer Vorname, findet der Onkel. Der Junge solle einen weltläufigen Namen haben. Und weil Micky Maus dem Onkel als das Modernste überhaupt gilt, nennt er den kleinen Theodorakis künftig „Mikis“. Dabei ist es geblieben: Theodorakis, der heute unglaubliche 90 Jahre alt wird, nennen die Griechen und mit ihnen alle, die zumindest einen Griechen kennen, schlicht Mikis – obwohl ihn sein Lebensweg zu einer Symbolfigur von Überlebensgröße hat werden lassen.

Es ist ein schmerzvoller Gang, eng verwoben mit der griechischen Losung „Freiheit oder Tod“. Theodorakis, am 29. Juli 1925 auf der Insel Chios geboren, setzt sich immer für die Freiheit ein, was ihn wiederholt an den Rand des Todes führt. Er ist keine 18 Jahre alt, als er zum ersten Mal gefoltert wird. Griechenland unter Diktator General Metaxas kapituliert nach dem Einmarsch italienischer und deutscher Truppen. Theodorakis, der bereits ein Schülerorchester gegründet hat und erste Lieder komponiert, geht in den Widerstand. 1942 wird er verhaftet, wenig später muss er mitansehen, wie ein Freund von der Wehrmacht erschossen wird.

Theodorakis findet seine Bestimmung im Lied

Immer wieder gerät Theodorakis in die Schusslinie, wird verwundet von britischen Besatzern, halbtot geprügelt im aufziehenden Bürgerkrieg, interniert und gefoltert, bis er an Tuberkulose leidet, und durch den Wehrdienst in einen Suizidversuch getrieben. Trotzdem gelingt es ihm, sein Examen als Komponist zu bestehen. Als Kind hatte Mikis seine Mutter nach den seltsamen Bewegungen gefragt, die er an einem Dirigenten beobachtet hatte. Er leide, erklärte sie ihm. „Da begriff ich, dass Kunst und Musik Schmerz bedeutet.“

Diese Erfahrungen trennen Theodorakis von den Musikergrößen, die er beim Zusatzstudium am Pariser Conservatoire kennenlernt. Die europäische Avantgarde trifft sich in der Klasse von Olivier Messiaen, der stundenlang Vogelstimmennotate analysiert. Mitschüler Pierre Boulez ist stolz darauf, sein konservatives Publikum zu verstören. Keine Umgebung für Theodorakis: „Auserwählte der Gesellschaft sind keine Dialogpartner, darüber stritt ich mich sehr mit meinem Freund Iannis Xenakis.“

Nicht, dass Theodorakis keinen Erfolg im klassischen Betrieb gehabt hätte: Schostakowitsch spricht ihm einen Preis zu, er vollendet seine erste Symphonie, die zwei Freunden gewidmet ist: Im Bürgerkrieg kämpften sie auf gegnerischen Seiten und starben – ein musikalischer Versuch griechischer Aussöhnung. Mit 34 Jahren steht er auf der Bühne von Covent Garden neben Rudolf Nurejew und Margot Fonteyn, die sein „Antigone“-Ballett weltberühmt machen. Und dann ist da auch noch die Filmmusik zu „Alexis Zorbas“, die die Folklore der heillosen Heimat neu erfindet.

Theodorakis geht zurück, tingelt mit einem Orchester durch die griechische Provinz, in der nie zuvor Bach oder Beethoven zu hören war. Und er findet seine Bestimmung im Lied, das er als einzige eigenständige Musikform Griechenlands erkennt. Seine Melodien schreibt er auf moderne Lyrik von Elytis, Seferis, Kalvos und Ritsos und macht sie damit einem großen Publikum vertraut, identitätsstiftende Bildungsarbeit wie sein Volksoratorium „Axion esti“.

Freiheit durch eine vereinigte Linke

Inzwischen ist Theodorakis auch Politiker und Vorsitzender der Lambrakis-Jugend. Als 1967 das Militär putscht, stellt er sich an die Spitze des Widerstands. Die Armee kontert umgehend: „Wir haben beschlossen und befehlen: Es ist im ganzen Land verboten, Musik des Komponisten Mikis Theodorakis zu verbreiten oder zu spielen, diese Musik ist u.a. als Bündnis mit dem Kommunismus zu betrachten.“

Auf seine Verhaftung folgt psychische Folter, bei der der Musiker hören muss, wie Häftlinge im Nebenraum gepeinigt werden, Hungerstreik, Verbannung und Lagerhaft. Auf internationalen Druck darf der kranke Komponist 1970 schließlich nach Paris ausreisen. Unermüdlich gibt er Konzerte mit seinen Liedern, viele zusammen mit Maria Farantouri, die er als 16-Jährige entdeckte und die zu „seiner“ Stimme wurde, zur Stimme eines Griechenlands, das endlich seine Freiheit erlangen will. Für Theodorakis besteht kein Zweifel: Nur eine vereinigte Linke kann das schaffen.

Sein erster Auftritt nach dem Sturz der Junta am 9. Oktober 1974 zieht Zehntausende ins Karaiskakis-Stadion von Athen. Mikis wird als Volksheld gefeiert, er dirigiert seinen „Canto General“ nach Pablo Neruda, ein großer Mann mit mächtiger Mähne, Musiker und Zuhörer umfassend „wie ein Adler“. Doch seine politischen Ziele scheitern: Die Linke bleibt uneinig, er erringt kein Parlamentsmandat und wird auch nicht Bürgermeister von Athen. Anfang der 80er Jahre lädt die DDR Theodorakis ein, voller Misstrauen: Er ist zwar weltberühmt, doch zugleich politisch suspekt, weil er immer sagt, was er denkt. Diskussionen mit dem Musiker soll es daher nicht in der DDR geben.

Ein Geschenk für Griechenland

Stattdessen singt der Kreuzchor 1982 die Uraufführung von Liturgie Nr. 2, die Theodorakis „den Kindern, in Kriegen getötet“ widmet. Peter Kopp, damals 16 Jahre alt, war als Sänger dabei und erinnert sich: „Die Skepsis der Kreuzianer gegenüber allem, was links anmutete, war durch die Erfahrungen aus dem Alltag in Schule und Gesellschaft sehr groß.“ Jetzt führt Kopp als Chorleiter das Werk erneut auf, denn über die Zeit wurde ihm klar, „dass wir es bei der Liturgie mit einem ganz großen Kunstwerk“ zu tun haben.

Porträt des Komponisten als junger Mann. Mikis Theodorakis im Jahr 1970.
Porträt des Komponisten als junger Mann. Mikis Theodorakis im Jahr 1970.

© imago

Die Entdeckung des Musikers Theodorakis geht noch eine Generation weiter: Junge Musiker um die Berliner Sopranistin Johanna Krumin haben seine Lieder neu befragt. Der Komponist Sebastian Schwab war beim Start des Projekts gerade 19 Jahre alt, Theodorakis hat ihm sein Haus unterhalb der Akropolis und sein Herz geöffnet. „Echowand“ heißt die CD, die 13 Lieder neu arrangiert, ohne Mikis’ Melodien zu verändern. Eine zarte melancholische Kraft schimmert durch sie hindurch.

„Die größte Enttäuschung meines Lebens besteht darin, dass ich aus ihm scheiden werde, ohne Griechenland so zu erleben, wie ich es mir erträume.“ Die Unbeugsamkeit dieses singenden und kämpfenden Träumers ist sein Geschenk an Griechenland. Und an den Rest der Welt.

„Echowand“ ist bei Wergo erschienen. Peter Kopp und sein Vokal Concert Dresden führen „Liturgie Nr. 2“ am 23. August. bei den Brandenburgischen Sommerkonzerten im Brandenburger Dom auf. Maria Farantouri singt am 25. September bei einem Geburtstagskonzert für Theodorakis im Konzertsaal der UdK.

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