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Milan Kundera: Alles Lüge?

Nach den Anschuldigungen er habe 1950 einen antikommunistischen Studenten den Behörden gemeldet, spricht Milan Kundera von einem ausgefeilten „Attentat“ - ausgerechnet zur Buchmesse. Die Vorwürfe seien eine totale Lüge.

Für Milan Kundera ist es der Kampf um sein Lebenswerk: Vehement wehrt sich der tschechische Schriftsteller („Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“) gegen die Anschuldigungen, er habe 1950 einen antikommunistischen Studenten an die Geheimpolizei verraten. „Das ist ein verdächtig perfekt vorbereitetes Attentat auf mich“, sagte Kundera in einer ersten Reaktion auf die Vorwürfe von Historikern, die der Öffentlichkeit in dieser Woche belastendes Material präsentiert hatten. Dass sein vermeintlicher Verrat ausgerechnet wenige Tage vor der Frankfurter Buchmesse aufgedeckt werde, könne kein Zufall sein. Er habe überhaupt kein Motiv gehabt, jemanden ans Messer zu liefern. Nach Angaben der Prager Forschergruppe ist Kunderas mutmaßliches Opfer damals nur knapp der Todesstrafe entgangen und wurde 13 Jahre lang in kommunistischen Gefängnissen und in einem Arbeitslager festgehalten.

In Tschechien wird seitdem darüber diskutiert, ob die massiven Vorwürfe zutreffen. Kunderas Image jedenfalls hat trotz des Dementis Schaden genommen. Als leidenschaftlicher Gegner des kommunistischen Regimes hat er seine Bücher geschrieben, die häufig den entwürdigenden Alltag im Sozialismus und das Leben voller Bevormundungen zum Thema haben. Kundera lebt seit den siebziger Jahren im französischen Exil und galt während des Kalten Krieges als einer der profiliertesten Kritiker des Kommunismus. Unter tschechischen Intellektuellen wurde er sogar als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt. Dass gerade er ein Denunziant sein soll, sorgt in ganz Europa für Schlagzeilen.

Die Vorwürfe hatte der Historiker Adam Hradlinek in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Respekt“ vom Montag erhoben. Das tschechische Institut zur Erforschung totalitärer Regimes veröffentlichte daraufhin ein Polizei-Protokoll von Kunderas Denunziantentätigkeit. Sie stützen sich vor allem auf ein Papier, das sie im Archiv gefunden haben. Darin schildert ein Mitarbeiter der Geheimpolizei minutiös, wie Kundera seine Anzeige gegen Miroslav Dvoracek aufgegeben haben soll. Der 22-jährige Dvoracek arbeitete im Widerstand; am 14. März 1950 soll Kundera gemeldet haben, dass Dvoracek am Abend bei einer Freundin im Studentenwohnheim übernachtet. Die Staatssicherheit nahm den Dissidenten dort fest.

„Wir haben am Ablauf des Geschehens keinen Zweifel“, sagt Jiri Reichl, Sprecher des Prager Instituts, das die Akten gefunden hat. „Wir haben ein detailliertes Protokoll, das exakte Datumsangaben und ein Aktenzeichen enthält, und wir haben die Schilderung von Zeitzeugen.“ Die Unterschrift von Kundera allerdings steht nicht unter dem Schriftsatz, unterzeichnet ist er lediglich vom diensthabenden Beamten der Geheimpolizei.

Die Reaktionen in Tschechien sind geteilt: Manche äußern sich ungläubig, andere relativierend. „Er war damals sehr jung, und die Zeit war eine völlig andere“, wird der Schriftsteller Ivan Klima in der größten tschechischen Tageszeitung „Mlada Fronta Dnes“ zitiert. Die Prager Feuilletonisten fragen sich bestürzt, wie man künftig Kunderas Werk lesen müsse. Kundera selbst betont gegenüber einer tschechischen Nachrichtenagentur: „Natürlich werde ich das überleben.“ Er bezeichnet die Vorwürfe als „totale Lüge“. Wie sein Name in das Schriftstück kommt, könne er sich nicht erklären. „Ob sich damals jemand hinter meinem Namen versteckt hat, weiß ich nicht“, fügt er hinzu.Kilian Kirchgessner

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