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Kultur: Million-Dollar-Babys

Munch, Warhol, Bacon: Warum die Londoner Auktionen so erfolgreich waren

„Das Seltsame ist“, erzählte der Kunstberater beim Händewaschen auf der Christie’s-Toilette, „dass die Sammler ihr Geld vor allem bei Auktionen ausgeben wollen.“ Fünf Millionen Dollar hat er in dieser Woche bereits investiert, dabei haben die Contemporary-Auktionen noch gar nicht begonnen. Man könnte auch bei den Galerien in der Cork Street Schönes bekommen, will er damit sagen – aber viele Käufer ziehen die Auktionen vor. Der Kitzel des Wettbewerbs, wenn bei der Versteigerung Geldbeutel gegen Geldbeutel antritt, das Sehen und Gesehenwerden, das macht die Auktionssäle, wie diese Woche in London, zu unbestrittenen Zentren des Kunstmarktes.

Es gibt noch einen Grund, warum es bei den Auktionen für moderne und zeitgenössische Kunst so viele Rekorde gab. „Wir haben dreimal soviel Kunden, die im Segment von über 1 Million Dollar bei uns kaufen“, berichtet Christie’s-Auktionator Jussi Pylkännen. Es gibt mehr Reiche in der Welt als jemals zuvor. Sotheby’s und Christie’s haben ihre Adressen und wissen, wie man ihre Interessen lenkt.

Mit den Begehrlichkeiten steigen die Summen, die gezahlt werden: Kunsthändler in aller Welt setzen nun die Warhol-Preise herauf, weil bei Christie’s eines seiner Dollarzeichen den Schätzpreis von 2,58 Millionen Pfund (3,7 Millionen Euro) verdreifachte. Bisher brachten diese Werke – es gibt 12 Exemplare – eher Preise bis eine halbe Million Euro, der alte Rekord lag bei 1,4 Millionen Dollar.

„Schätzungen spielen keine Rolle mehr“, erklärt auch Cheyenne Westphal, Contemporary-Direktorin bei Sotheby’s, deren Auktion am nächsten Abend 5 Millionen mehr als die optimistischste Erwartungen einspielt. Wenn die Käufer heute etwas haben wollen, kommt es auf ein paar Hunderttausend nicht mehr an. Asiatische Mitbieter geben dem Geschehen zusätzliche Würze. Sotheby’s hatte Meisterwerke von Paul Gauguin bis Gerhard Richter nach Hongkong und Taipeh verfrachtet, um dort neue Kunstkäufer heranzuziehen. Im Ergebnis wurden acht Prozent der Sotheby’s-Auktion nach Asien verkauft.

Werke von Lucian Freud, Francis Bacon, Gerhard Richter, Andy Warhol, Sigmar Polke oder Georg Baselitz wurden ebenfalls teuerer. Bei Christie’s brachte Baselitz’ Heldenbild „Ein Roter“ einen Rekorderlös von umgerechnet 1,8 Millionen Euro, bei Sotheby’s wurde Polkes „Herr Kluncker“ für 1,24 Millionen Euro verkauft – an einen US-Sammler, den Sotheby’s als „Meisterwerkkäufer“ bezeichnete. Er wird seine Millionen mit dem Geschäftsaufschwung der Globalisierung verdient haben. Nun hängt er sich ein in Rastertechnik gemaltes Konterfei des deutschen Gewerkschaftsführers der 60er Jahre ins Zimmer, von dem er wohl nie zuvor etwas gehört hat. Aber er will ein charakteristisches Werk eines der führenden Maler des Jahrhunderts besitzen. „Die heutigen Sammler wollen Kunst, die zu ihrer eigenen Zeit gehört“, erklärt Cheyenne Westphal. Und diese Art der Zeitgenossenschaft lassen sie sich gern etwas kosten.

Was passiert, wenn ein Werk Leidenschaft und Begehren erweckt, sah man auch bei einem kleinen Selbstporträt von Francis Bacon. Es gehörte der einstigen Vertrauten Bacons in seiner Galerie Marlborough, Valerie Beston. Ein Geschenk Bacons, das Miss Beston selbst immer im Safe aufbewahrte, aber freigebig für Retrospektiven in aller Welt auslieh. Die Schätzung von 1,4 bis 1,8 Millionen Pfund war schnell überholt. Nach nur wenigen Minuten fiel der Hammer bei 5,1 Millionen Pfund (7,5 Mio. Euro). Insgesamt wurden bei der Christie’s Contemporary-Auktion 37 Millionen Pfund umgesetzt. Die letzte „Rekordauktion“ des Hauses im Juni 2005 hatte 21 Millionen Pfund erbracht. Bei Sotheby’s ging der Umsatzsprung von 19 Millionen im Juni auf 30 Millionen – in diesen Preisregionen spielen sich derzeit die Zuwachsraten am Kunstmarkt ab.

Dabei hat das Interesse an der klassischen Moderne keineswegs nachgelassen. Auch die Expressionisten sind wieder teurer geworden. Christie’s katapultiert sich unter anderem mit Kirchners „Frauenbildnis im weißen Kleid“ (über 7 Millionen Euro) und Heinrich Campendonks „Kuh mit Kalb“ (2,4 Millionen Euro) wieder an die Marktspitze.

Bei Sotheby’s verdoppelte Max Liebermanns „Blumenstauden vor dem Gärtnerhäuschen“ auf einen Schlag den bisherigen Liebermann-Rekord auf 3,1 Millionen Euro. Es gab Höchstpreise für das Stiefmütterchen-Gemälde von Emil Nolde und Ludwig Meidners „Apokalyptische Landschaft“ (2,6 Millionen Euro) – und Sternstunden mit den Munchs aus der Olsen Sammlung, die fast 25 Millionen Euro brachten, sowie Paul Gauguins Tahiti-Bild mit 18 Millionen Euro.

Es ist wie in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts, als England zum Weltreich aufstieg und die Früchte der ersten Globalisierungswelle einfuhr. Die Sammler zahlten damals enorme Preise für die großen historischen Meisterwerke und noch viel mehr für die Kunst ihrer eigenen, viktorianischen Zeitgenossen. Erst der Weltkrieg bremste diese Kunstmarkt-Hausse. Auch jetzt, glaubt Christie’s-Chef Ed Dolman, kann den Boom nur ein Ereignis bremsen, „an das wir lieber nicht denken wollen“.

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