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Kultur: Mit dem Rücken sprechen

Anja Silja und Robert Wilson zeigen in der Berliner Staatsoper den „prologue Deafman Glance“

„Es ist“, sagt Frau Silja, „wie in einem Gottesdienst. Da gibt es ja auch oft Stellen, wo geschwiegen wird, und wenn man nicht intensiv beten kann, sitzt man dann einfach da.“ Und bevor man noch überlegen kann, warum die große Sängerin Anja Silja ausgerechnet hier und heute, in diesem kleinen Büro in der Staatsoper Unter den Linden, das Bild eines Gottesdienstes bemüht, fährt sie schon fort, über die morgige Aufführung von Robert Wilsons stummer Performance „Deafman Glance“ zu sprechen. Silja sorgt sich, ob das Publikum überhaupt bereit ist für ein Stück, in dem vierzig Minuten lang fast nichts passiert außer: ein wenig Lichtveränderung. Und sehr langsame Bewegungen.

Ganz Präsenz und Entspannung, sitzt Silja da; noch ist sie nicht abgeschminkt von der morgendlichen Probe. Den Theaterkünstler Wilson hat sie schon 1990 in einer Zürcher Produktion „kennen- und liebengelernt“. Liebengelernt? Nun, arbeitsmäßig. Wilson sei ein Regisseur, der Wieland Wagner darin ähnele, wie er Emotionen von innen nach außen führe, mit ganz wenigen Bewegungen. „Man kann durch Langsamkeit eine andere Dimension von Empfindung freilegen.“

Und Siljas große Liebe Wieland Wagner, der die eben Zwanzigjährige 1960 als Senta nach Bayreuth verpflichtet und ihr damit den Weg zu einer großen Karriere gebahnt hatte, ist noch in diesem Gespräch so präsent, als stimme es wirklich, als hätten die Jahre mit dem schon 1966 verstorbenen Wagner-Enkel und Regisseur tatsächlich ihr ganzesLeben geprägt. „Manche Ehen werden eben im Himmel geschlossen,“ sagt Silja zu dem Einverständnis, das sie damals beim Proben und Einstudieren erfuhr und auf das sie jetzt wieder zugreifen kann.

Wilsons „prologue Deafman Glance“ nun, Auslagerung aus einem größeren Werk, das schon 1970 gezeigt wurde und den Regisseur schlagartig berühmt machte, nutzt als Ausgangsmaterial die in großen Bewegungen versteckten Einzelgesten. Silja erzählt, wie Wilson die Fotoserie einer Mutter, die ihr Baby aufnimmt, ausgebreitet habe und unter den Dutzenden abgebildeten Bewegungen und Gefühlen auch Befremdung ausgemacht hätte. Von daher das bewegungsmäßige Fastgarnichts, der Zeitlupenblick, den diese Art der Regie weckt.

Inhalt des Prologs zum vierten Akt von „Deafman Glance“ aber ist ein Kindsmord. „Mehr nicht“, sagt Silja. „Und eigentlich passiert mehrmals dasselbe: Die Kinder kriegen das Glas Milch oder werden erstochen. Es ist im Grunde das Medeathema.“ Wilson und Silja werden also auf der Bühne stehen, schweigen und fast nichts tun. Der zweite Teil des Abends wird eine andere Momentaufnahme zeigen, eine Inszenierung von Schönbergs Monodram „Erwartung“.

Und noch einmal spricht Silja von Meditation, Trance, Erfahrungen wie im Gottesdienst. Wird das Ganze nicht aber doch schön anzuschauen sein, ein verlangsamter Tanz? „Ja,“ sagt Silja, „aber es ist wirklich sehr langsam.“ Immerhin: Wilson ist berühmt für sein Lichtdesign. „Wieland eben auch, er war ein großer Lichtregisseur.“ Silja wiederum hat die große Gabe zu „stehen“, gar „durch den Rücken zu sprechen“. Wilson selbst formulierte das so, in einer Rede anlässlich der Verleihung des Gorvin-Preises 2005.

Was heißt „stehen können“? „Rückgrat haben,“ sagt Silja, „man kann ja heute Leute fast suchen, die gerade gehen.“ Und wie man sie so sitzen sieht und mit klarer, fast rau tönender Stimme erzählen hört, versteht man, dass Haltung und Bewegung für sie zwar intuitiv erfassbar sind, aber doch nicht analysierbar. Siljas geerdeter Zugang zum Übersinnlichen zeigt sich noch im glatten Gesprächsübergang von den Rollen, mit denen sie gar nichts anzufangen weiß – solchen, in denen zuviele Koloraturen sind, „da geht die Person verloren vor lauter Kunstgesang“ – zur Musikalität des Papstes. Ach so. Endlich: Silja ist ein „euphorischer Fan“ von Benedikt. Im April erst hat sie sich taufen lassen.

Staatsoper Unter den Linden, morgen 20 Uhr. Weitere Aufführungen am 3. und 10.9. Publikumsgespräch am 3.9. nach der Vorstellung, Gespräch mit Anja Silja am 4.9. um 18 Uhr.

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