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Kultur: Mit Eifer suchen, was Lust schafft

"Himmlisches Geschöpf!" Tief beugt sich der große, ernste Mann nieder, überwältigt von der Passion für seine junge Frau, die ihn um Gnade für einen gemaßregelten Untergebenen gebeten hat.

"Himmlisches Geschöpf!" Tief beugt sich der große, ernste Mann nieder, überwältigt von der Passion für seine junge Frau, die ihn um Gnade für einen gemaßregelten Untergebenen gebeten hat.Himmlisches Geschöpf - es ist, als bete Othello seine Desdemona, die er später als Ausgeburt der Hölle schmähen wird, in diesem Monolog geradezu an."Verdammt sei meine Seele, lieb ich dich nicht! Und lieb ich dich nicht mehr, dann kehrt das Chaos wieder!" Das Chaos? Was meint der schwarze Mann damit? Der Mohr von Venedig, der zum hochgeschätzten Befehlshaber der Truppen der Lagunenstadt emporgestiegen ist - was hat er hinter sich, daß er die Rückkehr der totalen Unordnung, die Auflösung seiner seelischen Ruhe fürchten muß?

Der kurze Monolog, an zentraler Stelle der fünfaktigen Tragödie, auf dem Scheitelpunkt der Handlung, gewährt einen Blick in den abgründigen Charakter dieses Menschen.Othello, wegen seiner exotischen Herkunft ein Außenseiter in der europäischen Gesellschaft, hat seinen Weg gemacht dank einem Übermaß an Selbstkontrolle und ist sich dessen auch wohlbewußt: daher seine Furcht vor einem Verlust der Selbstbeherrschung.Im Berliner Deutschen Theater, unter Alexander Langs Regie, spielt Jörg Gudzuhn den Othello als einen Mann, den vor allem eines kennzeichnet: eine große Besonnenheit.Dieser Mohr kommt nicht auf geschmeidigen Sohlen daher wie ein Löwe aus der Savanne, sondern stets ruhigen Schritts, ein Herr, der Autorität ausstrahlt.Privat in hellem Anzug, dienstlich in dunklem Brustpanzer, trägt er sein scharfnasiges, von einer struppigen Tolle gekröntes Haupt hocherhoben, das Gesicht schimmernd in stahlblau getöntem Schwarz.Und bis dann doch das Chaos, das befürchtete, wiederkehrt und aus dem Menschen ein brüllendes Tier macht, ist die Stimme, das bekannt sonore Gudzuhn-Organ, ein Ausdruck der gesammelten Ruhe mit mancherlei Zwischentönen, etwa der spöttischen Maßregelung unangemessenen Benehmens: "Cassio!", schon die mit einem Kopfschütteln begleitete Anrede an seinen Leutnant läßt den jungen Mann hören, wie sich sein Chef über ihn wundert.Andererseits, bei aller souveränen Intelligenz, die Gudzuhns Othello in seiner Sprechweise verrät, kann sie auch in eine unglaubliche, eine lächerliche Naivität umschlagen: "Das ist ein Mann von höchster Redlichkeit!" meint Othello von seinem Fähnrich Jago, dem unredlichsten Menschen der Welt, und in dem Ton, in dem Gudzuhn dies sagt, liegt die ganze Diskrepanz zwischen Schein und Sein, auf die Alexander Lang mit seinem ironischen Inszenierungsstil so gern hinweist - hier wie in seinen anderen Arbeiten auch.

Haben wir Menschen des ausgehenden 20.Jahrhunderts noch ein Sensorium für die todernste Liebesgeschichte, die Shakespeare erzählt? Oder wollen wir einfach unseren Spaß haben an der trickreichen Intrige, mit der Jago, aus Rache für berufliche Hintansetzung den Stachel der Eifersucht in die Brust Othellos bohrend, ein harmonisches Eheglück mörderisch zerstört? Wie Mephisto dem Faust Konkurrenz um die Gunst des Publikums macht, so Jago dem Othello.Götz Schubert tritt zu den Monologen, in denen er seine fiesen Pläne schmiedet, an die Rampe und gewinnt uns zu amüsierten Voyeuren seines Mienenspiels: Intrigieren und Grimassieren werden eins, und die mit zusammengebissenen Zähnen geknurrte Selbsteinschätzung "Ich bin ein solches Schwein!" versöhnt uns mit eben diesem prompt.Und wie sich der ganze Kerl bei einem Trinklied förmlich in einen Dudelsack verwandelt, der Körper ein jaulendes Instrument, das ist ein Kunststück für sich.

"Erwürgt sie in dem Bett, das sie geschändet hat", rät Jago dem vermeintlich betrogenen Gatten, und das irre Lächeln, mit dem dieser Othello zustimmt: "Wunderbar! Das ist gut!", läßt das Berliner Premierenpublikum lachen.Dummer Othello, kluger Gudzuhn - müßten sie nicht erkennen, daß ihre Desdemona über jeden Zweifel erhaben ist? Cornelia Schirmer spielt ein sanftes Blondchen ohne alle Koketterie; nicht der Anflug eines Flirts, der den Argwohn wecken könnte, sie hätte etwas mit dem braven Cassio des Guntram Brattia.

Fürs böse Ende muß dann eigens ein makellos weißes Plumeau auf dem harten Boden ausgebreitet werden.Venedig oder Zypern: alles ein und dieselbe karge Bunkerlandschaft.Arme Kunst des Bühnenbilds in diesen armen Zeiten! Volker Pfüller hat seine gestalterische Phantasie nur in ein paar hübsche Kostüme einbringen können.

17., 18., 21., 24.und 27.9., 19.30 Uhr.

GÜNTHER GRACK

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