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Kultur: Mit vollem Herz und leeren Händen

„Der Weltensammler“: Ilija Trojanows Roman über Imperialismus und Islam

Richard Francis Burton, in späteren Jahren Sir Richard Francis Burton, hatte eine seltsame Begabung. Er war ein Reisender. So viele Träume wie Missverständnisse liegen in diesem Wort: reisen. Zu Burtons Zeit, im kolonialistischen 19. Jahrhundert, bedeutete es nicht das, was wir darunter verstehen, selbst wenn wir einmal alle Bequemlichkeit und Sicherheit aufgeben und uns einreden, wir könnten vordringen zu einer fremden Kultur und sie begreifen.

Zum Thema Tagesspiegel Online: Leipziger Buchmesse  Service Online bestellen: "Der Weltensammler" Aber auch schon seinen Vorgesetzten und denen, die mit ihm gingen, gab dieser Mann unlösbare Rätsel auf. Burton stand lange in Diensten des britischen Empire, doch seine Interessen waren offensichtlich weder rein wissenschaftlicher noch materieller Natur. Er schlug aus der Art. Er war kein Eroberer. Man konnte sich nicht erklären, wozu Burton all die wahnsinnigen Strapazen und Gefahren aushielt. Er ging weit hinein nach Indien, in den afrikanischen Kontinent, nahm Sprache, Habitus und auch die Religion an. Er studierte Sanskrit, hielt sich als Pilger in Mekka und Medina auf, den türkischen, arabischen und britischen Behörden gleichermaßen suspekt.

Seltsam auch, dass Burton (1821 – 1890), der ein Dutzend Bücher schrieb, das „Kama Sutra“ und die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht übersetzte, so in Vergessenheit geraten konnte. Von all den exzentrischen Abenteurern, Entdeckern, Kulturguträubern, Trophäensammlern, die das 19. Jahrhundert bevölkern, war er einer der bizarrsten. Den western way of life ließ er fahren, kaum dass er fremden Boden betrat. Man denkt an Isabelle Eberhardt, die einige Jahre später in Nordafrika im „heißen Schatten des Islam“ aufging. Auch Burton fühlte sich in der Tradition des Islam geborgener als in den „schuldbeladenen, freudlosen Niederungen des Christentums“. Ein Reisender mit vollem Herzen und leeren Händen.

Ilija Trojanows Roman mit dem schönen Titel „Der Weltensammler“ erzählt hundert und eine Geschichten von diesem Mann. Eine innere und äußere Begegnung: Trojanow geht Burton nach, die beiden haben sich gefunden. In Bombay, wo Trojanow, geboren 1965 in Bulgarien, einige Jahre lebte. In Mekka, das Trojanow selbst besucht und in einem atemberaubenden Buch beschrieben hat („Zu den heiligen Quellen des Islam“, 2004). In Afrika schließlich, wo der Burton-Wiedergänger aufwuchs. Der „Weltensammler“ liest sich als zeitversetzte Autobiografie eines deutschen Autoren von heute. Trojanows Gespür für die tektonischen Veränderungen und Spannungen der Welt ist bewundernswert. Und sein Thema war immer schon die Religion; die Faszination für einen nicht-säkularen Alltag. Mit einem meist westlich regierten „Dialog der Kulturen“ hat das nichts zu tun.

In den letzten hundertfünfzig Jahren hat sich die Frage nach der Hierarchie der Kulturen nicht verändert und zuletzt wieder dramatisch verschärft. „Die Einheimischen“, lässt Trojanow Burton einmal in einem Bericht an seinen General über die Muslime sagen, „sehen in uns nichts anderes als Schurken. Sie vergessen kein einziges der Versprechen, die wir nicht eingelöst haben. Sie übersehen keinen einzigen der bestechlichen Beamten, die unsere Gerechtigkeit durchsetzen sollen. Sie empfinden unsere Manieren als anstößig, und natürlich sind wir gefährliche Ungläubige. Viele Einheimische sehnen sich nach einem Tag der Rache.“ Und wenn die Engländer, die die Amerikaner des 19. Jahrhunderts waren, „beginnen von Werten zu sprechen“, dann, so Burton/Trojanow, sind die Einheimischen gewarnt. Wie heute: Was Demokratie-Export anrichten kann, sieht man im Irak.

Das Buch kündet vom Ende des angloamerikanischen Imperialismus, es baut sich auf wie ein Basar. Man wandert durch dies vielgestaltige Werk, angelockt, verwirrt, fasziniert von Erzählungen, Protokollen, Dialogen, die alle „Burton“ verkaufen, verraten, anpreisen; manchmal allzu verschlüsselt. In dem Stimmengewirr bleibt Burton ein Flüchtiger. Man glaubt ihn vor sich zu haben, wie er fremde Kleider anlegt, fremde Zungen übt, dann ist er auch schon wieder verschwunden. In einem Sandsturm, einem Haus, das Westler nicht betreten sollten. Man spürt die drückende Hitze, hat den Gestank einer indischen Straße, eines überfüllten arabischen Schiffchens in der Nase, schmeckt die Schrecken der Armut. Burton tritt hinter Landschaft und Menschen zurück, man hört, wie sie über ihn reden, streiten; Diener, Kolonialbeamte, Kaufleute. Ein Spion? Ein Doppelagent?

„Ich denke, dieser Mann steht außerhalb des Glaubens. Nicht nur unseres Glaubens. Das erlaubt ihm hinzugehen, wohin sein Wille ihn treibt.Und weil er an alles und an nichts glaubt, kann er sich, zumindest dem Äußeren nach, nicht aber in der Festigkeit, in jeden Edelstein verwandeln“, urteilt ein Kadi über Burton, der sich in Arabien Sheik Abdullah nennt.

„Der Weltensammler“ nähert sich Natur und Religion in exzessiv-existenzialistischen Passagen, durch den Dschungel, Wüstenmeere, die Überfahrt von Suez nach Djidda wird zu einer Art Nahtoderfahrung, und in solchen Momenten spürt der Mensch Gott. Wie in den Filmen eines Terrence Malick. Einer, der Burton auf seinen wahnwitzigen Expeditionen begleitet, sagt: „Er wurde getrieben von Dschinns, die allen anderen fremd waren, Dschinns, die er keinem verständlich machen konnte. Es lässt sich einfacher leben, wenn deine Dschinns den anderen Menschen bekannt sind.“

Trojanow umspielt das Geheimnis seines Helden, „ohne es lüften zu wollen“, wie er im Vorspruch erklärt. Die Erzählung läuft nicht linear, es ist auch keine postmoderne Dekonstruktion. Vielmehr eine orientalisch inspirierte Verknüpfung von Zeichen und Zeit. Und: keinerlei Romantik, kein Exotismus. „Der Kai war auf fauligem Fisch erbaut, überzogen von getrocknetem Urin und galligem Wasser. Ärmel wurden rasch über Nasen gezogen. Jahrhunderte von Fäulnis, barfüßig zu festem Boden gestampft, auf dem ein Uniformierter schreiend schwitzte.“ So empfängt Bombay den Ankommenden. Das ist die absolute Qualität dieses Romans, für den man gut zu Fuß sein muss: die Sinnlichkeit, mit der Trojanow das Beschwerliche, Verzehrende, Erdrückende, Erotische des Reisens erfasst. Denn auch er besitzt die seltsame Gabe, in sich zu ruhen in ständiger Unruhe, immer unterwegs.

„Der Weltensammler“ endet, nach bald 500 Seiten, in den 1860er Jahren in Afrika. Da war Burton, der später noch Nord- und Südamerika bereiste, so alt wie sein Romanbiograf heute.

Ilija Trojanow: Der Weltensammler. Roman. Carl Hanser Verlag, München. 475 Seiten, 24,90 €.

Rüdiger Schaper

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