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Kultur: "Modderwerk": Funde aus dem Schlick

Hier wird ein Metabolismus inszeniert, aber statisch und klassisch skulptural auf Sockeln. Mit Saugrüssel, Tiefenbohrer, Baggerschaufeln oder Förderbändern , die in den Stahlleib hinein führen oder im offenen Bauch enden, mit Rutschen und Röhren, die den Schlamm wieder ausstoßen, so funktioniert das "Mudderverk".

Hier wird ein Metabolismus inszeniert, aber statisch und klassisch skulptural auf Sockeln. Mit Saugrüssel, Tiefenbohrer, Baggerschaufeln oder Förderbändern , die in den Stahlleib hinein führen oder im offenen Bauch enden, mit Rutschen und Röhren, die den Schlamm wieder ausstoßen, so funktioniert das "Mudderverk". Modderwerk könnte man das Wort aus dem Schwedischen übersetzen. Truls Melin hat es zum Titel seiner Ausstellung gemacht.

Nach langer, durch Krankheit bedingter Pause zeigt der schwedische DAAD-Stipendiat von 1994 nun eine Reihe von hölzernen Schiffsmodellen, die mehr oder weniger frei jenen schwimmenden Geräten nachempfunden sind, die in Häfen und Wasserstraßen den Schlick ausbaggern und Schlamm absaugen. Dreckfresser sind diese Schiffe. In ihrer schmutzigen Arbeit gründeln sie tief in verborgenen Schichten, heben an die Oberfläche, was sonst unsichtbar und verborgen bliebe. Seine mit einem "traurigen" (Melin) Krankenhausgrün angestrichenes Mudderverk ist die zum (Schiff-)Modell gewordene Metapher für das Erforschen unbewusster Tiefen.

Nur was fördern diese Modelle zu Tage? Es scheint Erinnerungen an Kindertage in Malmö am Sund, als Truls Melin jene Baggerschiffe im Hafen sah. Tatsächlich erinnert Melins Mudderverk an Modelle aus dem Kinderzimmer. Die Formen sind einfach, die Details verschwunden, und alles besteht aus einem einzigen Material, dem Holz. Melin, schon 1993 Alleinvertreter seines Heimatlandes auf der Biennale in Venedig, kann sich jene unerschrockene Naivität inzwischen leisten. Denn sein in Skulptur verwandeltes Kinderspielzeug thematisiert eben jene verlorene Unschuld der Kindheit, die der inzwischen 42-Jährige sich nach einer ernsten Krise in jüngster Zeit erst wieder aneignen musste. So wirken auch jene Fotografien, die Melin 1968 von seinen damals noch aus Plastik zusammengebastelten Schiffsmodellen aufgenommen hat, wie der Blick durch den Schleier der Zeit in die Traumwelt eines spielenden Kindes. Die Flecken und Schlieren dieser schwarz-weißen Bilder lassen die in Pfützen schwimmenden Segel und Piratenschiffe, die U-Boote und Frachter selbst wie ein Fund aus dunkler Tiefe erscheinen; ein Fund, der zuerst einmal im Bauch liegt, wie der Schlamm im Schiffsrumpf.

Ronald Berg

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