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Kultur: Mode: Haute Couture im Höhenrausch

Romy Schneider. Am Telefon.

Romy Schneider. Am Telefon. An einem verregneten Aprilsonntag 1962. Sie sei in Hamburg, ob man sich treffen könne. Fotos machen. Der Fotograf von damals, F. C. Gundlach, fischt unter Stapeln von Fotos in seinem Hamburger Domizil ein Porträt hervor. 40 mal 50 Zentimeter, Stirn, Augen, Wangen und Mund. Romy. Mit Anfang zwanzig. Als "Sissi" ein gefeierter Star, doch in der ersten ernsthaften Rolle ein Flop. Sie sei verzweifelt gewesen an diesem Nachmittag, erzählt Gundlach, weil sie nicht ernst genommen wurde. Sie habe nicht gewusst, welche Rolle sie spielen sollte. Ein wahnsinniger Nachmittag. Plötzlich habe sie sich geöffnet, habe zugelassen, dass die Kamera Gefühle einfange. Das Bild, das dabei herauskam, Gundlach hält es für eines seiner besten. Ungeschminkt, Blick an der Kamera vorbei nach unten, melancholischer Mund. Das ganze spätere Schicksal der Rosemarie Albach stecke da schon drin.

"Fotografieren ist etwas sehr Intimes", sagt Gundlach. Dennoch fotografiere er lieber Fremde als Freunde. Denn durch die Linse sehe man Dinge, die man sonst nicht sieht. Und auch gar nicht sehen will. Aber ohne Vertrauen gehe es eben auch nicht. Manchmal sei es sofort da gewesen. Manchmal habe es Stunden gedauert, bis die Maske fiel. Bei Ruth Leuwerik sei sie nie gefallen. Auch er selbst, auf der anderen Seite der Linse, müsse bereit sein, sich zu öffnen. Klick-klick. Und dann, plötzlich, sei er da, der magische Moment, in dem sich im Gesicht Sehnsucht, innere Suche spiegelt. Klick-klick. Klick-klick. Oder die Verbundenheit bei einem Paar wie Simone Signoret und Yves Montand. Gundlach hat sie fotografiert. 1953 in Paris. Eng verschlungen, Arme und Hände. Ein Traum von Halten und Gehaltenwerden.

"Bilder machen ist eine Art, jemanden zu berühren, eine Form von Zärtlichkeit." Das hat die Londoner Fotografin Nan Goldin gesagt. F. C. Gundlach hat es sich in sein Notizbuch geschrieben. Etwas ist immer geblieben vom Zauber des fotografischen Augenblicks. Auch nach zigtausend Einstellungen, sagt der 74-Jährige. Das Geheimnisvolle, das Gundlach schon als kleinen Buben angelockt habe. Anfänglich vor allem in die Dunkelkammer seines Onkels. Geknipst hat er schon als Zehnjähriger, 1936. Aber mit dem Fotografieren ging es erst nach dem Krieg los. Eine Fotoschule besuchte Gundlach, nachdem er als Luftwaffenhelfer aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. Anfang der fünfziger Jahre hatte er in Paris gearbeitet und wurde zum Shooting-Star unter den deutschen Modefotografen. Seine Bilder hatten das gewisse Andere. Waren nicht wie die vieler Kollegen, die auch nach dem Krieg nicht aufhörten, idyllisierende Ufa-Porträts aufzunehmen. Seine Fotos waren dunkel, auf wenige Requisiten reduziert.

"Das alles war ja nicht meine Erfindung. Ich hatte das vom Film und vom Pariser Existenzialismus", sagt Gundlach. Es klingt beiläufig. Er zieht Exemplare von "Film und Frau" hervor, der Mode- und Klatsch-Zeitschrift der fünfziger Jahre mit Sitz in Berlin, Kurfürstendamm 213. Die schönsten Frauen tragen da weiße Duchesse- und schwarze Samtkleider. In Opernlogen. Starmodel Grit Hübscher, eingehüllt in eine Weissfuchsstola. "Traum aller Frauen und sieghaftes Finale einer Ballnacht", kommentiert die Bildzeile. Und jedes Foto mit Goldrand. "Heute ist das Kitsch. Damals war es große Welt." Gundlach hatte Erfolg. Und mit dem Erfolg durfte er auch weg vom Gold und kombinieren, was bis dahin nicht zusammenging: Abendroben in Fauna und Flora, Haute-Couture vor beschmierten Kreuzberger Hauswänden. Er ging mit den Models auf die Straße, stellte sie vor die Gedächtniskirche, ins Olympiastadion oder in den Hamburger Hafen. Er arbeitete am Mythos Berlin, bastelte an Frauenträumen und holte die Ferne an den heimischen Nierentisch. "Bezahlen konnte die Kleider natürlich niemand. Aber auch wenn es den Menschen schlecht geht, wollen sie träumen." Als einer der ersten flog Gundlach Anfang der Sechziger zu Shootings nach New York, Kairo, Kapstadt oder Beirut.

Zwei Tage hier, drei Tage dort. Wird das eigene Leben da nicht irgendwann auch zur Inszenierung? Zu Glamour? "Glamour?", Gundlach zieht erstaunt die Augenbrauen hoch, "harte Arbeit war das. Disziplin. Bei 40 Grad im Schattten in Ägypten oder auf Bergspitzen, wo man einen Höhenkoller kriegt." Dass er mit den großen Stars gearbeitet hat, mit den schönsten aller schönen Frauen, für Gundlach nichts Besonderes, nicht erwähnenswert. Höchstens eine kleine Anekdote am Rande, wie die mit Sophia Loren, die in kein einziges der Kleider hineinpasste, in denen er sie fotografieren sollte. Naja, die Maße, die die Diva in der Öffentlichkeit verbreitete, hatten nichts zu tun mit ihrer wirklichen Figur. Heute schmunzelt Gundlach darüber. Damals fand er das gar nicht lustig. Wie sollte er jetzt seine Arbeit machen? Schließlich hatte es eine Ewigkeit gedauert, bei der Loren überhaupt einen Termin zu bekommen.

Die Bilder, die Technik, die Perspektiven. Wie sie verführen. Das allein zählt. Er, der dreißig Jahre lang tagtäglich die perfekte Inszenierung arrangierte, macht um sich selbst keinen Wirbel. Schwarze Hose, weißes Hemd mit feinen blauen Karos. Nichts Besonderes eben. Das Jackett zerknittert und ausgebeult - aber mit knallrotem Reverstuch. Immer neue Zeitschriften und Kataloge zieht er hervor, zeigt, erklärt, zeigt, wie sich die Sehweisen, die Posen, die Frauentypen gewandelt haben. Wie ihn die Bildende Kunst inspirierte. Warhol, Lichtenstein. Wie er Ende der Sechziger aggressive Farben einsetzte, im Studio Pop-Art nachstellte. "Das Tolle an meinem Job war, dass ich immer ausprobieren konnte, was ich wollte." Auch später, als er der Hausfotograf von "Brigitte" war.

Gut möglich, dass es in zwanzig Jahren gar keine Fotografie mehr gibt, sagt Gundlach und zuckt mit den Schultern. Gut möglich, dass dann alles digital läuft. Die Vorstellung jagt ihm keine Schauer über den Rücken. Im Gegenteil. Er ist lediglich enttäuscht, dass die Fotografen bisher nichts wirklich Neues mit elektronischen Medien zu Stande gebracht hätten. Er selbst schwimmt in Fotos: gestapelt, zerstreut, in Pappschachteln gepackt, in Schubladen geordnet, in zahllosen Aktenordnern katalogisiert. Seit er vor zehn Jahren seine professionelle Karriere beendete ("Heute knipse ich nur noch"), sammelt er umso mehr. Sammeln. "Das ist für mich wie ein Glaubensakt, eine rätselhafte Intuition." Irrational sei es, wenn ihn Bilder anspreche. Die von Nan Goldin etwa oder von David Armstrong, weil sie die Grenzen zwischen Fotografie und Malerei verschieben, die Posen der Glamourwelt ironisieren und gleichzeitig von Kitsch und Dreck und Verletzbarkeit erzählen. So reist er noch heute ständig um die Welt, besucht Künstler, organisiert Ausstellungen, gibt Bücher heraus, verhandelt mit Politikern, gründet Stiftungen. "Immer mindestens sieben bis acht Sachen gleichzeitig." Immer den magischen Augenblicken auf der Spur.

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