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Kultur: Modefotografie: Welt aus Samt und Seide

Eine Frau will nach oben. Sie hat ihr bestes Kleid angezogen, die Lippen sind geschminkt, sie wirft funkelnde Blicke aus dunklen Augen.

Eine Frau will nach oben. Sie hat ihr bestes Kleid angezogen, die Lippen sind geschminkt, sie wirft funkelnde Blicke aus dunklen Augen. Und lächelt, lächelt, lächelt. "Lieschen Neumann will Karriere machen": eine Geschichte in 12 Bildern. Ankunft in der Hauptstadt, Dinner in gehobenen Kreisen, Golfspiel, Ausflüge mit Pferd, Automobil, "Flugmaschine", Treffen mit Filmproduzenten. Die Fotoerzählung über "das Scheindasein vor der Kamera" erschien 1930 in der Zeitschrift "Uhu", Erich Kästner lieferte den Text. "Es gibt eine Sorte junger Damen", dichtete er, "die haben nichts, als etwas anzuziehn. Sie tragen reichlich parfümierte Namen und sind aus - oder wollen nach - Berlin." Ein Desillusionierungsroman. Der Aufstieg misslingt. Am Ende steht Lieschen Neumann vor einem Obstladen und guckt gierig in die Auslagen. "Was soll das Lächeln und das ganze Drum und Dran, wenn man schließlich kaum zwei Apfelsinen, obwohl man gerne möchte, kaufen kann?!"

Ein Bild zeigt den Möchtegernestar auf dem Weg zu einem Fototermin. Das Mädchen steht, den Filzhut tief ins Gesicht gezogen und in der Hand ein Täschchen, vor einer typischen Berliner Gründerzeitwohnungstür. An der Tür hängt ein Schild mit drei Großbuchstaben: "YVA". In der Wohnung hinter dieser Tür, Friedrich-Wilhelm-Straße 17 (heute Klingelhöferstraße), hat die Fotografin Yva fünf Jahre lang - von 1925 bis 1930 - ihr Atelier gehabt. Als Else Ernestine Neulaender 1900 in eine Berliner Kaufmannsfamilie hineingeboren, stieg sie unter ihrem klangvollen Pseudonym zu einer der gefragtesten Gebrauchsfotografinnen der Zwischenkriegsjahre auf. Yva belieferte Zeitschriften wie "Die Dame" oder "die neue linie" mit Modeaufnahmen, fotografierte Werbekampagnen für "Nowa-Strümpfe" und "Scherls Gesichts-Wasser", erfand zusammen mit "Uhu"-Chefredakteur Friedrich Kroner das Genre der filmartigen, pseudo-dokumentarischen "Photoerzählung" und wurde schon 1929 durch die Einladung zur Werkbund-Ausstellung "Film und Foto" ganz nebenbei in den Rang einer anerkannten "Lichtbildnerin" erhoben.

Yva war eine ehrgeizige Künstlerin und eine gewiefte Unternehmerin. Auf dem Höhepunkt ihres Ruhms beschäftigte sie ein Dutzend Mitarbeiter. Abends trafen die neuen Kollektionen aus den Modehäusern ein, sie mussten über Nacht fotografiert werden, um am nächsten Morgen wieder für die Einkäufer in den Geschäften zur Verfügung zu stehen. Als Fotomodelle wurden Mädchen engagiert, die bei der Ufa als Statistinnen arbeiteten. Im Herbst 1930 bezog das Atelier neue, größere Räume in der Bleibtreustraße 17, im Frühjahr 1934 wechselte es in eine fürstliche 14-Zimmer-Wohnung in der Schlüterstraße 45. Dabei war die Lage für Yva und ihren Mann, den Fabrikantensohn Alfred Simon, zu diesem Zeitpunkt längst heikel geworden. Yva und Simon waren Juden. Der Ullstein-Verlag, Yvas Hauptarbeitgeber, wurde zwangsarisiert und trennte sich von seinen jüdischen Mitarbeitern. In der "Berliner Illustrirten Zeitung" erschienen Yvas letzte Aufnahmen 1936, in der "Dame" 1937. Nach Kriegsbeginn arbeitete die Fotografin zwangsverpflichtet als Röntgenassistentin im Jüdischen Krankenhaus. Yva und ihr Mann wurden im Juni 1942 von der Gestapo verhaftet, ihre Spuren verlieren sich in Majdanek.

Im Verborgenen Museum, nur ein paar Hausnummern von ihrem ehemaligen Atelier in der Schlüterstraße entfernt, wird Yva jetzt mit ihrer ersten großen Einzelausstellung geehrt. Yva muss nicht wiederentdeckt werden. Dafür hat Helmut Newton gesorgt, ihr berühmtester Schüler, der mit 16 Jahren in ihrem Atelier in Lehre gegangen war und bis heute immer wieder in Interviews erzählt, was er dort gelernt hat: "Auge, Maß, Mut - und perfektes Handwerk". Trotzdem gibt es in dieser Ausstellung etwas zu entdecken: Eine Fotografin, die weit mehr war als bloß Handwerkerin und den Anschluss fand an die Avantgarden ihrer Zeit. "Worauf es in meinen Bildern ankommt, das ist, das Wesen der Photographie von allem fremden Beiwerk zu befreien und zugleich die künstlerischen Möglichkeiten der reinen Photographie stärker auszuschöpfen", schrieb Yva 1927 in einem programmatischen Text. "Man muss das Wesen der Photoraphie aus den Gesetzen des besonderen Materials zu verstehen versuchen: Das ist die durchaus eigene Perspektive der Linse, die Abstufung der Lichtwerte in der Platte, die eigene Kompositionsweise des Bildes."

Fotografie als Experimentierfeld. 1926 kombiniert Yva ihr Selbstporträt in einer Doppelbelichtung mit der Reproduktion eines konstruktivistischen Gemäldes von Heinz Hajek-Halke. In strenger Frontalität blickt die Fotografin in die Kamera, ihre Haare sind im Look der "neuen Frau" kurz geschnitten, die Hände vor der Brust gekreuzt. Kubistisches Liniengeflecht durchschneidet das Gesicht, kreisförmige Streifen umfangen den Kopf wie ein Heiligenschein. Das Prinzip der Mehrfachbelichtung perfektioniert Yva immer weiter. Bei manchen Aufnahmen überlagern sich die Handlungsebenen wie in einem Film, ein Bild erzählt eine ganze Geschichte. Sie montiert ein nacktes Mädchen in die Zelle eines Zuchthäuslers ("Vision"), kopiert entsetzt schreiende Gesichter übereinander ("Das Grauen"). Auch in ihren Porträts bricht Yva spielerisch mit den Konventionen des Genres. Von der Schauspielerin Ata Nielsen zeigt sie nur den Hinterkopf mit der berühmten Haubenfrisur, von der Tänzerin Gritta Blandt das verschleierte Gesicht.

Beine, Beine, Beine. Die Jahre der Weimarer Republik waren eine Epoche der Befreiung, es galt auch, die Beine der Frau zu befreien. Yva präsentiert immer wieder Frauenbeine: Beine, die für Strümpfe werben, Beine, die Treppen emporsteigen und über Parkettböden tanzen, Beine, die sich an eine Hauswand lehnen und dem Passanten verführerisch entgegenstrecken. Ihre Modeaufnahmen sind mal inszenierter Schnappschuss, mal kühl ausgeklügeltes Stilleben. Mitunter wirken die Damen, die Stilkleider aus schwarzem Taft, Seidengardoben mit raffiniert durchbrochenem Rückendekolleté oder Panamahüte mit Ripsband vorführen, wie Marmorstatuen. "Sie melden sich (weil es das Bild so will)", schrieb Kästner, "bei einer Fotografin namens Yva. Sie halten dort in zwanzig Lagen still und fühlen sich dabei bald schon als Diva".

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