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Kultur: Modelle, Models, Mode

Der Kunstkritiker und Projektleiter am Künstlerhaus Bethanien, Christoph Tannert, ruft einen Mythos auf. "Berlin ist eine Stadt der Maler", beginnt sein Manifest.

Der Kunstkritiker und Projektleiter am Künstlerhaus Bethanien, Christoph Tannert, ruft einen Mythos auf. "Berlin ist eine Stadt der Maler", beginnt sein Manifest. Doch spezifisch ist das nicht. Berlin spielte seit den dreißiger Jahren nicht mehr in der ersten Liga. Die großen Maler seit den sechziger Jahren - Richter, Polke, Baselitz - sind im Kölner Raum groß geworden. Allein die "Neuen Wilden" explodierten in West-Berlin und sandten ein grelles Licht in Westkunstländer. Dann war es wieder dunkel.Auch in der DDR kamen die in Konflikten stark gewordenen Künstler nicht aus Ost-Berlin, sondern aus Leipzig und Dresden. Und wenn in den letzten zehn Jahren Künstler an internationalen Ausstellungen beteiligt wurden, dann hießen sie Maria Eichhorn, Ulrike Grossarth, Via Lewandowsky, Eran Schaerf, Monica Bonvicini, Manfred Pernice; keiner von ihnen ist Maler. Da sich der Wind leicht dreht, beruft sich Tannert unnötig auf einen Mythos, der in Wahrheit eine lokale Durchhalteparole war.Doch nun hat Berlin wieder Umland und kann aus dem Vollen schöpfen. Tannerts Ausstellung ist die erste, die diese frohe Botschaft glaubhaft verkündet. Seit 1995 lädt der Direktor des Neuen Berliner Kunstvereins, Alexander Tolnay, Gastkuratoren zur "Ortsbegehung" ein, um drei junge, noch wenig bekannte Künstler aus Berlin vorstellen zu lassen. Das Haus hält sich eine Tür zum Unvorhersehbaren offen. Doch eine Ausstellung, die andere Kunsthäuser übernommen hätten, gab es nicht.Dies könnte sich mit der fünften Ausstellung ändern. Tannert traf eine Auswahl, die die in Weimar entfachte Debatte um die Kunst aus der DDR in die richtige Richtung fortführt. Er stellt drei Maler aus Sachsen vor, die erst kürzlich von Dresden nach Berlin gezogen sind. Sie gehören zur ersten Generation, die sich noch in der späten DDR sensibilisierten, aber ihr Studium bereits unter neuen Bedingungen absolvierten. Eberhard Havekost, Frank Nitsche und Thomas Scheibnitz lernten in Dresden bei Ralf Kerbach, sind in den späten sechziger Jahren geboren und werden von der Dresdner Galerie Gebrüder Lehmann vertreten. Insofern könnte diese Ausstellung auch "Dresden in Berlin" heißen und weckt Gedanken an die Zeit, da die Städte-Achse durch Kirchner, Kokoschka, Pechstein lebendig war. Tannert hat Aspekte der Topographie, der Geschichte und des Biographischen nicht übergangen. Und täte man so, als könnten diese Maler auch aus Oslo, München oder Bottrop kommen, würde man das spezifische Gewicht der Schau verkennen. Der Kurator will mit Malern aus Sachsen einen Trend setzen. Tatsächlich raunt man überall von der nächsten Schlacht um Marktanteile, die über das Medium Malerei ausgetragen werde.Das Trio aus Sachsen ist dabei guter Dinge, besonders Eberhard Havekost. Alle seine Bilder, die er zur Art Basel im Juni anbot, fanden Käufer. Seinen Namen kannte kaum jemand; allein die Werke überzeugten. Es sind völlig geklärte Bildgründe im Genre Landschaft und Porträt. Die Modelle kommen nicht aus dem realen Leben, sondern haben ihre Quelle in Modemagazinen. Die Malerei reproduziert geschönte Vorbilder, eben Modelle als Model, und macht sie gleichzeitig als Bedeutungskonstruktion sichtbar. Der Ernüchterung auf konzeptueller Seite - alles Schein! - arbeitet die in schlichter Sinnlichkeit aufgetragene Farbe illusionierend entgegen. Und man schätzt die Malerei wie gekonnt aufgetrages Make-up, das wundersamerweise immer hält. Darin liegt Geheimnis und Gefahr. Man fragt nicht: "Was ist dahinter?", sondern: "Wie sieht es aus?". Wer aber dieser Malerei gesellschaftliche Belanglosigkeit verwirft, hat nicht mitbekommen, daß Tafelmalerei als führendes Bildmedium ausgespielt hat und dafür neue Freiheiten und Probleme gewann.

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128/129; bis 22. August; Di bis Fr 12-18 Uhr, Sa und So 12-16 Uhr.

PETER HERBSTREUTH

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