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Kultur: „Modern, ohne kitschig zu sein“

Alles braucht Zeit: ein Gespräch mit Senatsbaudirektor Hans Stimmann über die Rekonstruktion des Berliner Schlosses

Am kommenden Wochenende findet in Berlin eine Konferenz statt, bei der auf Ihre Anregung hin, Herr Stimmann, eine große Zahl von Fachleuten eine Expedition durch das weite Feld der architektonischen Rekonstruktion unternimmt. Tatsächlich geht es um das Berliner Schloss. . .

Die Tagung knüpft an ein intellektuelles und architektonisches Problem an. Es gibt ja den Beschluss des Bundestages zum Schloss vom Juli 2002. Er beinhaltet eine große Zahl von Empfehlungen, darunter die Wiedererrichtung von drei barocken Fassaden sowie der des Schlüterhofes. Inhaltlich wird dies der Ort des Humboldt-Forums. Aber das eine steht unverbunden neben dem anderen. Würden wir bauen, was im Moment auf dem Tisch der Planungen und Ideen liegt, bekämen wir drei Fassaden mit wunderschönen Portalen und dahinter etwas, was damit nichts zu tun hat. Das wäre eine Farce, eine Niederlage für jeden, der wirklich an den Themen Rekonstruktion und Humboldt-Forum interessiert ist.

Das abschreckende Beispiel steht schräg gegenüber, das Kommandantenhaus Unter den Linden. . .

Das ist eine handwerklich überzeugende Rekonstruktion der Fassaden, aber drinnen erwartet einen eine ganz andere Welt. Es ist ein Beispiel für eine nicht zu Ende geführte Debatte über das Verhältnis von Baugeschichte, moderner Architektur und neuer Nutzung. . .

. . . die Sie mit dieser Konferenz auf den rechten Weg bringen wollen. ..

Sie soll deutlich machen, dass wir am Beginn einer neuen Phase der Schloss-Debatte stehen. So wie die Dinge liegen, kann das Vorhaben bei dem Anspruch, den wir haben, nicht gut gehen. Die Leute, die das Humboldt-Forum planen, ignorieren sozusagen seine räumlichen und inhaltlichen Restriktionen.

Rekonstruktion wirft die Frage auf: Was – und wie weit – darf man wiederherstellen?

Also, wer sich mit dem Thema beschäftigt der weiß, dass es alles gegeben hat und alles gibt, und an jeder Stelle muß wieder neu gedacht werden. Jede Lösung hat etwas mit dem Zeitgeist zu tun, aber auch mit der Aufgabenstellung, die ansteht. Meine eigene Position ist: Die Rekonstruktion sollte zunächst versuchen, auf das, was die Fassade erzählt, mit der innerer Raumorganisation zu reagieren und die historischen Raumfolgen kritisch zu interpretieren. Drastisch formuliert: wenn ich durch ein großes Portal schreite, dann möchte ich dahinter keine Sanitärräume finden.

Und wenn man die Möglichkeit hätte, alles so wiederherzustellen, wie es war – Beispiel Dresdner Frauenkirche?

Wenn man es machen könnte, was ja viele kluge Leute behaupten, dann wäre das Schloss ein Museum seiner selbst. Dann könnte man vielleicht in diesem Schloss Tagungen, Kongresse und Bälle stattfinden lassen, aber die neue Nutzung wäre nicht möglich, die ich als außerordentlich glücklich empfinde, also die Idee, große Sammlungen außereuropäischer Kunst, die Berlin besitzt, in dem barocken Bau zu zeigen.

Und jenseits des Nutzungsgesichtspunkts?

Auch dann hielte ich das für falsch, weil es ein Stück Geschichte verwischen würde, nämlich die Geschichte der Zerstörung, des Lebens mit der leeren Fläche, der politischen Geste des Palastes der Republik und deren Scheitern und der dann folgenden Debatten über diesen Ort. Die neue Architektur muß daran erinnern, dass es hier eine Zerstörung gegeben hat. So zu tun, als hätte man das Schloss kurz vor seiner Zerstörung eingefroren, wäre eine vielleicht verständliche, aber problematische Fetischisierung der Erinnerung. Wenn unsere Kinder durch das Schloss gehen, sollen sie nicht den Eindruck haben: Das war nie weg.

Rekonstruktion ist nicht gleich Imitation oder Kopie?

Rekonstruktion sollte gerade keine Wiederherstellung im Sinne einer exakten Kopie sein. Sie muss eine Vermittlung zwischen Geschichte und Moderne suchen. Die Herausforderung ist die Neuschöpfung aus dem Geist der Achtung des Alten und dem Vermögen der Architekten von heute. In diesem Sinne spricht Romano Borelli davon, dass Architektur immer Rekonstruktion sei, weil sie nicht erinnerungslos sein kann. Natürlich erinnert sich die meiste Architektur auch. Leider hat die moderne Architektur ein sehr kurzes Gedächtnis.

Der Gedanke eines Wiederaufbaus des Schlosses war heftig umstritten. Inzwischen hat er breite Akzeptanz gewonnen. Was hat diesen Wandel verursacht? Das Misstrauen gegen die moderne Architektur? Der Verlust an historischer Substanz, im Kriege und danach, gerade in Berlin?

In der Tat gibt es diese Bereitschaft zur Rekonstruktion, diese Sehnsucht nach Altem inzwischen nicht nur bei den Schlossenthusiasten, sondern bei sehr, sehr vielen Menschen. Wenn, wie in Berlin, die ganze Innenstadt, 90 Prozent aller Gebäude, zerstört, abgerissen und erneuert sind, dann erzeugt das in einer Stadt, die ja ein historisches Wesen ist, eine Sehnsucht nach geschichtlicher Verankerung.

Sie haben ein langes Architektenleben hinter sich. Können Sie sich vorstellen, dass man, dass Sie selbst vor – sagen wir – 30 Jahren dem Schloss-Projekt positiv gegenübergestanden hätten?

Also, was mich angeht – mit Sicherheit nicht. Ich bin ja ein Anhänger moderner Architektur, und es war ein langer Weg, bis ich meinen Frieden mit der Architektur, die sich stärker auf die Baugeschichte bezieht.

Die Akzeptanz des Schlossprojektes wäre danach auch ein Resultat der Architekturentwicklung in der Nachkriegszeit und auch Ihrer selbst.

Auch meiner selbst, zweifelsohne. Ohne die Niederlagen der moderner Architektur in fast allen deutschen Innenstädten und ohne die Erkenntnis, wie begrenzt unsere Fähigkeiten sind, etwas Erinnerungsfähiges zu bauen, wäre diese Entwicklung nicht zu verstehen. Wenn ich noch etwas Persönliches sagen darf: Ich komme ja aus Lübeck, und der Wiederaufbau der Lübecker Kirchen und ihrer Türme war für uns damals vor allem ein technisches Problem. Erst meine professionellen Erfahrungen, als Lübecker Bausenator und als Stadtbaudirektor hier in Berlin, haben mir die Augen dafür geöffnet, wie wunderbar es unsere Väter fertig bekommen haben, zerstörte Kirchen – etwa den Dom, in dem ich getauft wurde, oder die Petri-Kirche – so zu rekonstrukieren, dass die beiden Geschichten versöhnt sind, und zwar weiß, modern und gotisch, ohne kitschig zu sein. Das können Architekten, das haben sie in anderen Städten auch gezeigt, und warum soll das nicht bei unserem Schloss gelingen?

Geht es nur um das Schloss, wenn es um das Schloss geht? Enthusiasten zitieren gerne Wolf Jobst Siedler: „Das Schloss lag nicht in Berlin – Berlin war das Schloss“. Übertrieben? Oder im Kern richtig?

Jeder, der sich für die Geschichte der Berliner Innenstadt interessiert, begreift schnell, dass das Schloss so wichtig ist, weil es der Ausgangspunkt der barocken Stadt war. Erst von da aus versteht man das Alte Museum und den Lustgarten. Der war ja kein Garten vor dem Museum, sondern vor dem Schloss. Oder den Schlossplatz, der im Bewusstsein der meisten Berliner ganz verschwunden ist, denn der befand sich nicht am ehemaligen Palast der Republik – wie die meisten meinen –, sondern vor dem ehemaligen Staatsratsgebäude. Also, mit dem Schloss wird auch der umgebende Stadtgrundriss sozusagen wieder in sein Recht eingesetzt. Damit wird überhaupt erst mal der Stadtgrundriss wieder sichtbar, von der Westseite natürlich.

Und auf der anderen Seite?

Da wird es ein bisschen länger dauern. Man kann da fast nur sagen, dass es nicht so bleiben wird, wie es ist. Vom Schloss sähe man ja buchstäblich auf die Rücken von Marx und Engels. Nichts gegen das Denkmal, mit dem sie da ironischerweise an der Heiligen-Geist-Straße Nr. 16 sitzen – so hiess nämlich das Grundstück früher –, aber es ist gänzlich ausgerichtet auf den Fernsehturm und das ganze Ensemble aus DDR-Zeit.

Wo wäre der Platz der Schlossrekonstruktion im Spektrums der exemplarischen Beispiele der Nachkriegszeit – also, sagen wir, zwischen dem Stein für Stein wiederhergestellten Goethehaus in Frankfurt und dem eben fertig gewordenen Braunschweiger Schloss, dessen Fassade ein Einkaufszentrum verkleidet?

Auf keinen Fall bei Braunschweig. Das ist natürlich eine Horrorvision, weil es genau dem entspricht, was die Rekonstruktionsgegner sagen: So endet das alles! Also dann lieber gar nichts. Meine Beispiele stehen schon in Berlin. Wir haben eine wunderbare Rekonstruktion beim Charlottenburger Schloss. Und wir haben das ganze Ensemble am Forum Friedericianum: die Oper, das Kronprinzenpalais, die Kommode – alles Rekonstruktionen aus der DDR-Zeit.

Die aussehen wie vollständige, kopienartige Rekonstruktionen. . .

Aber es nicht sind. Es sind im wesentlichen Rekonstruktionen und Interpretationen des damaligen Zeitgeistes. Es ist die Arbeit von Richard Paulick, der vom Bauhaus kam und dann zu einem Protagonisten der DDR-Moderne wurde. Man wünschte sich heute natürlich eine andere Haltung, es war die Zeit, in der die Stalinallee gebaut wurde und man spürt auch viel Fünfzigerjahre-DDR. Aber auf seine Weise ist das durchaus gelungen.

Das Schloss als Schlusspunkt der DDR-Rekonstruktionen der Fünfzigerjahre? So ähnlich hat einmal Friedrich Dieckmann, ein Publizist aus dem Ostteil der Stadt, für den Schlossaufbau plädiert – mit dem Hintergedanken, dass man deshalb im Osten gar nicht gegen Palast-Abbau und Schlossrekonstruktion sein könne.

Man könnte auch darauf hinweisen, dass das Forum Fridericianum ja sozusagen die Erweiterung des Schlosses ist. Und dass auch alles andere in diesem Bereich, Lustgarten, Museumsinsel, Dom, von diesem mächtigen Bau ausging. Und nun ist da, wo alles anfing – nichts.

Dann wäre Berlin mit dem Schlossprojekt sozusagen auf einem Rückweg — aus der historischen Bebauung der Mitte, die noch oder wieder existiert und die wir kennen? So wie ja auch die Stadt sich in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten gleichsam auf das Schloss zubewegt hat — mit dem Aussenministerium, dem Kommandantenhaus, dem Imitation des Bauakademie. . .

Wenn man heute auf den Stadtplan sieht, dann erkennt man in der Tat ein Stadtwachstum vom Westen her in Richtung Schloss. Man braucht sich ja nur zu erinnern, wie leer zum Beispiel der Pariser Platz vor 15 Jahren war – und wie er zu einem Mittelpunkt des gesellschaftlichen und touristischen Lebens geworden ist. Genauso haben sich die Linden, die Friedrichstraße, Behrenstraße, Jägerstraße und alle die anderen Straßenzüge in Mitte wundersam belebt. Inzwischen hat das Forum Fridericianum seine Gestalt wiedergewonnen, entstehen Townhouses am Fridrichswerder, wächst die Museumsinsel. Das alles brauchte Zeit, aber wir haben die Zeit genutzt.

Und die Rekonstruktion des Schlosses wäre dann die Konsequenz dieses jüngstenK apitels der Stadtgeschichte. . .

Sie wäre die Vollendung der Beschäftigung mit dem historischen Zentrum unserer Stadt.

Das Gespräch führte Hermann Rudolph.

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