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Kultur: Moderne oder Romantik? Zwei Opern von Ferruccio Busoni auf CD

Als Ferruccio Busoni 1906 sein musikalisches Credo formulierte, muss er auf Zeitgenossen weniger wie ein Erneuerer als wie ein zu spät gekommener Romantiker gewirkt haben: "Es sollte die Oper des Übernatürlichen oder des Unnatürlichen, als der ihr allein zufallenden Region der Erscheinungen und der Empfindungen, sich bemächtigen und eine Scheinwelt schaffen, die das Leben entweder in einen Zauberspiegel oder einen Lachspiegel reflektiert", schreibt er im "Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst". Oper als Scheinwelt - das ging gegen den Hypernaturalismus eines Richard Strauss, gegen die Alltagsgeschichten à la "Bohème", mit der Puccini die Massen begeisterte.

Als Ferruccio Busoni 1906 sein musikalisches Credo formulierte, muss er auf Zeitgenossen weniger wie ein Erneuerer als wie ein zu spät gekommener Romantiker gewirkt haben: "Es sollte die Oper des Übernatürlichen oder des Unnatürlichen, als der ihr allein zufallenden Region der Erscheinungen und der Empfindungen, sich bemächtigen und eine Scheinwelt schaffen, die das Leben entweder in einen Zauberspiegel oder einen Lachspiegel reflektiert", schreibt er im "Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst". Oper als Scheinwelt - das ging gegen den Hypernaturalismus eines Richard Strauss, gegen die Alltagsgeschichten à la "Bohème", mit der Puccini die Massen begeisterte. Kein Wunder, dass Busonis sechs Jahre später zur Bekräftigung seiner These uraufgeführte "Brautwahl" durchfiel - die märchenhafte E.T.A.-Hoffmann-Oper schwamm gegen den aufs Bombastische gerichteten Strom der Zeit. Seitdem blieb die "Brautwahl" vergessen, bis 1993 die Berliner Lindenoper das Stück in einer Aufsehen erregenden Neuinszenierung herausbrachte.

Rechtzeitig zur Wiederaufnahme im Dezember liegt jetzt der Mitschnitt der Aufführung vor - und ist schon als reine Höroper fesselnd genug. Dabei ist die "Brautwahl" im Sinne Busonis beides: Lachspiegel in ihrem deutlich auf Wagner zurückgreifenden musikalischen Humor und Zauberspiegel in der Verschränkung einer romantischen Liebesgeschichte mit einer geisterhaft-phantastischen Sphäre schicksalsbestimmender Zeitenwanderer. Die Einspielung ist die bislang gelungenste Opernaufnahme Barenboims: Mitreißend impulsiv, anschaulich in der musikalischen Charakterisierung, stimmungsvoll atmosphärisch in den lyrischen Abschnitten wird das Werk bei ihm zu geistreicher Theatermusik, großartig gesungen vom Staatsopern-Ensemble mit Roman Trekel und Graham Clark an der Spitze.

Etwas von Barenboims Überdruck hätte auch dem "Doktor Faustus", der zweiten Busoni-Neuerscheinung, gutgetan. Im Kontext seiner Live-Aufführungen in Lyon und Salzburg erntete Kent Nagano, der neue Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters, Lob für seine musikalische Umsetzung. Ohne optische Komponente wirkt sein fein gewichtender Zugang zahm, bleibt die Aufnahme der klassischen Einspielung Ferdinand Leitners von 1969 mit Dietrich Fischer-Dieskau in der Titelrolle eindeutig unterlegen. Ist Leitners (wie auch Barenboims) Busoni von der romantischen Oper her gesehen, versucht Nagano, den "Doktor Faustus", Busonis Unvollendete, von der Moderne her zu begreifen: Ohne die Spannung schaffenden Stimmungswechsel zu intensivieren oder den Sängern Raum für großes Theaterpathos zu geben, wirkt sein Busoni referiert und - langweilig.Busoni: Die Brautwahl. Trekel, Höhn, Clark, von Kannen u.a., Staatskapelle Berlin, Barenboim. TELDEC 3984-25250-2 (2 CDs). - Busoni: Doktor Faustus. Henschel, Begley, Hollop, Kerl, u.a., Chor und Orchester der Oper Lyon, Nagano. Erato 3984-25501-2 (3 CDs).

Jörg Königsdorf

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