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Möbeldesign: Das große Aufräumen

Tilmann Appel handelt mit Vintage-Möbeln – und mit exklusiven Entwürfen junger Designer

Neulich stand ein Auto im Showroom von Tilmann Appel. Nun ja, nicht ganz. Es war die Karosserie eines weißen Lamborghini Countach, die der Züricher Designer Martin Meier in Originalgröße nachgebaut und minimal abstrahiert hat. Mehr durfte dieser „Göttin unter den Supersportwagen“ nicht geschehen, befand Meier – was ihn aber nicht davon abhielt, ihr kantiges Äußeres auf diverse Stuhlklassiker des 20. Jahrhunderts zu übertragen.

Wie könnten der Panton Chair, „La Chaise“ von Charles und Ray Eames oder der „Zig Zag“ von Gerrit Rietveld aussehen, wenn sie in derselben Designschmiede entstanden wären wie jener Lamborghini? Meier hat es ausprobiert und seine eckig-runden Varianten in Handarbeit erschaffen. Echte Bastarde in unschuldigem Weiß.

Einer davon steht noch im Showroom von Appel – zwischen lauter Ikonen zum Sitzen, die stilprägend für die vergangenen Jahrzehnte waren. Allein die Mischung erzählt einiges über Appel, den man längst nicht mehr nur einen Händler für Design nennen kann. Im Frühjahr 2005 hat er seine Räume an der Torstraße mit der typischen Melange eröffnet: Lampen aus den Sechzigern, Eames-Stühlen und einigen skurrilen Objekten der siebziger Jahre. Doch schon ein gutes Jahr später blieben die Passanten verwundert vor seinen Schaufenstern stehen. All das begehrte Interieur war zu einem Haufen getürmt und eine Skulptur daraus entstanden. „Ziehen Sie aus?“, hieß die gängige Frage. Dabei war es ein großes, radikales Aufräumen. Die Carte blanche für ein neues Konzept.

„White“ hieß denn auch die erste Ausstellung nach dem Kehraus. Zu sehen gab es die legendären Entwürfe eines Dieter Rams – und daneben einen anonymen Frankfurter Stuhl, der als solides Alltagsmöbel ab 1935 Einzug in Büros und Wohnungen gehalten hat. Dieser vorbehaltlose Blick auf die verwendeten Materialien, ihre Verarbeitung und eine gelungene formale Gestaltung ist Tilmann Appel immer wichtiger geworden. Unabhängig davon, ob die Urheberschaft bei einem legendären Industriedesigner wie „Mr. Braun“ Rams liegt. Oder sich mit einem Namen verknüpft, dessen Talent die Experten zwar erkannt haben. Den es aber noch zu vermitteln gilt – an Sammler etwa, die am liebsten kaufen, was rar, originell und auch bei anderen gefragt ist .

„Mit Gregorio Vardanega waren wir ein bisschen früh für Berlin“, meint Appel. Den Überblick über die kinetischen Op-Art-Objekte, die nach Jahrzehnten noch perfekt funktionieren, hat er 2006 gemeinsam mit einer Schweizer Galerie organisiert. Die auffallenden Leuchtkästen gingen dennoch weg. Das war’s dann auch, resümiert der Händler. Wer den 2007 verstorbenen Künstler jetzt für sich entdeckt, der findet kaum noch eine Arbeit auf dem Markt.

Ohne das nötige Vertrauen in den Instinkt und die Kenntnisse des Händlers geht es nicht. Seinen Instinkt beweist Appel, wenn er einen Visionär wie Ronen Kadushin zum Designmai 2007 zeigt, dessen „Open Design“ zur Modifizierung durch den Nutzer einlädt. Die Werktreue, der traditionelle Weg der Vermarktung – geschenkt. Kadushins Ideen kann man sich digital aus dem Netz holen. Der passende Designer zur Download-Generation.

Die Basis für sein profundes Wissen hat sich Appel schon während seines Studiums der Betriebswirtschaft in Münster in den neunziger Jahren angeeignet. „Ein Buch über Ron Arad hat mich damals mehr interessiert als eines über Marketing“, meint der 35-Jährige. Dabei ist es geblieben. Im Büro stehen die Designbände in dichter Reihe. Bestseller wie „1000 Chairs“ von Taschen neben einem Katalog über Rams’ Design, der ausverkauft ist und deshalb gerade selbst hoch gehandelt wird.

„Stapelprogramm 740“ heißt lapidar die aktuelle Ausstellung. Bei Legenden wie Dieter Rams erübrigt sich jede inhaltliche Unterfütterung. Dafür waren die Kunststoff-„Pillen“ seiner Stapelware von 1974, die man selbst zu Stühlen und Tischen zusammenfügen sollte, gelb wie Raucherzähne. Eine Firma wollte die Elemente teuer bleichen, da hat der Galerist selbst zu Wasserstoffperoxid gegriffen und das System in der Wanne gereinigt. Was die Stapelstücke kosten sollen? „Fragen Sie jetzt nicht.“ Das sei weit schwieriger als jede Säuberung, denn „740“ ist so selten, dass gar kein Preis kursiere. Appel muss ihn für sich festlegen – und dazu braucht er Zeit.

Zeit ist ohnehin ein wichtiges Kriterium. „Die Sammelwürdigkeit ist ja oft versetzt. Bestimmte Designobjekte müssen erst einmal ihren Lebenszyklus durchlaufen, um dann nach Jahren wieder wertgeschätzt zu werden“, meint Appel und lehnt sich bequem auf einem alten Vitra Aluminium Chair von Charles und Ray Eames zurück. Der steht am Schreibtisch, nicht im Ausstellungsraum. Dabei verkaufen sich solche Vintage-Möbel nach wie vor blendend. Appel aber hat sie weggeräumt. In seinen „Storage“. Natürlich handelt er damit: Die Nachfrage nach Paton, Eames und Poulsen machen seine konsequenten Schauen in der Galerie erst möglich. Genau wie Appels Experimente, die Arrangements von „Italy Design“, „New Stuff“ oder Hockern von George Nelson.

Neulich waren „Lost Chairs“ zu sehen, eine Ansammlung ausrangierter Stühle aus den Hinterhöfen der Stadt. „Es interessiert mich auch, weshalb manche Formen die Zeit nicht überstehen“, meint der Galerist und hatte sich aufgemacht, um solche ausrangierten Exemplare zu finden. Ein „Garden Egg“ von Peter Ghyczy aus dem Jahr 1968 war auch dabei. Völlig kaputt. Dennoch stand der ehemalige Besitzer plötzlich in der Galerie und wollte das Möbel wiederhaben. Was andere ausstellen, muss einfach etwas wert sein .

Appel Design Gallery, Torstr. 114, Di-Sa 12-20 Uhr. www.appel-design.com. Nach Rams (bis 19.9.) ist „Digital Couture“ von Herrmann August Weizenegger zu sehen.

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