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Kultur: Möglich ist alles

Seit dem 11. September gibt es einen neuen Beruf für Intellektuelle: Verschwörungstheoretiker. Verdienst- und Karrierechancen: gut

Am 11. September 2001 bekam Mathias Bröckers, Mitgründer und viele Jahre Feuilletonchef der „tageszeitung", einen Anruf seines Freundes Gerhard Seyfried. Er solle mal den Fernseher anmachen. Was im Fernsehen lief, ist wohl klar.

Bröckers und der Karikaturist Seyfried bewohnen gemeinsam ein Haus in Solothurn, Schweiz. Aber beide sind oft in Berlin. Sie gehören zum historischen Kernbestand der West-Berliner Linken. Wenn man seine Exkollegen nach Bröckers fragt, sagen alle das gleiche: nett, klug, nur, er hat halt ein bisschen viel gekifft. Nach seiner „taz“-Zeit hat Mathias Bröckers einen Bestseller über Hanf und übers Kiffen geschrieben, Auflage 140000. Am 11. September saß er an einem Buch über Verschwörungstheorien. Es war schon halb fertig. Er beschloss, aus dem allgemeinen Buch über Verschwörungstheorien ein konkretes über den 11. September zu machen. Es ist wieder ein Beststeller, Auflage bisher 130000, einen zweiten Band hat er gemeinsam mit Andreas Hauß vor ein paar Wochen hinterhergeschoben.

Der allgemeine Teil über Verschwörungstheorien ist sehr klug. Bröckers sagt sinngemäß: Verschwörungstheorien reduzieren komplizierte Vorgänge auf einfache Ursachen. Eine Verschwörungstheorie ist eine Lebenshilfe: Plötzlich glaubt man, alles zu kapieren. Im ersten Teil, geschrieben vor dem 11. September, kritisiert er also das, was er im zweiten Teil dann selber macht.

20 Prozent der Deutschen glauben, dass die Amerikaner (also George Bush, oder der CIA, oder wer auch immer) das World Trade Center selber haben zerstören lassen, um einen Grund für ihre Kriege und für die Errichtung einer neuen Weltordnung zu bekommen. Zwei Drittel glauben, dass in den Medien über den 11. September nicht die ganze Wahrheit gesagt wird. In manchen Büchern steht: Die Flugzeuge waren leer und ferngesteuert. Oder: Im Pentagon detonierte gar kein Flugzeug, sondern eine Rakete (so der Dokumentarfilmer Gerhard Wisnewski). In anderen steht: Das World Trade Center wurde gesprengt, damit es auch ganz bestimmt einstürzt (so bei Andreas von Bülow, dem ehemaligen Forschungsminister von Helmut Schmidt).

Es ist kein deutsches Phänomen, eher ein internationales. Ähnliche Bücher sind in Frankreich erschienen (von Thierry Meyssan), oder in Großbritannen (von Nafeez Ahmed), sie sind dort ähnlich erfolgreich. Auch in den USA blühen die Theorien, nicht nur zum 11. September, sondern generell. Die USA sind nun mal ein Land, das von Sektierern gegründet wurde.

Auf der Suche nach einer Ursache für diesen Boom landen die einen beim Antiamerikanismus, die anderen landen bei George Bush, bei seinen ständig wechselnden, zum Teil erfundenen Begründungen für einen Krieg, den er um jeden Preis haben wollte. Wenn es einen gibt, der unbewiesene oder falsche Behauptungen hartnäckig wiederholt (zum Beispiel, dass Saddam Hussein und die Al-Quaida-Terroristen unter einer Decke gesteckt haben), dann ist es der amerikanische Präsident. Die Verschwörungstheoretiker und Bush sind Zwillinge im Geiste. Die gefühlte Unehrlichkeit in Fragen von Leben und Tod war bei keinem US-Präsidenten so groß.

Die Stunde der Spieler

Am liebsten arbeiten die Anhänger der Verschwörungstheorien mit langen Listen von Fragen. Manche Fragen klingen vernünftig, andere abenteuerlich. Wieso konnten die flugunerfahrenen Attentäter relativ schwierige Flugmanöver durchführen? Wieso wurden Polizisten, die vor den Anschlägen Warnungen ignorierten, hinterher befördert? Wurden konkrete Warnungen ignoriert, weil man wollte, dass die Anschläge gelingen? Wer steckt hinter den Aktienspekulationen, die zu beweisen scheinen, dass der Spekulant in die Pläne der Terroristen eingeweiht war? Kann es sein, dass die angeblichen Attentäter in Wirklichkeit noch leben? Wenn, wie im jüngsten „Spiegel“ geschehen, anti-verschwörungstheoretische Journalisten einige Fragen untersuchen und einige Verschwörungsthesen widerlegen, dann konzentriert man sich eben auf andere Punkte der Fragenliste.

Im Berliner Café Einstein sagt Bröckers von sich: „Klar, ich bin ein Kriegsgewinnler.“ Er ist wirklich nett, die 21jährige Tochter macht gerade ein Praktikum bei der „taz“. Seine Bücher zum 11. September sind nicht unbedingt ein Lesegenuss. Viele Wiederholungen. Viele, einander zum Teil widersprechende Theorien. Als Belege gibt er 380 Quellen an, meist aus dem Internet. Die Quellen wirken zum Teil seriös, zum Teil windig, zum Teil schreiben sie voneinander ab. Es ist fast unmöglich, in diesem Dschungel aus Dichtung und Wahrheit durchzusteigen. Dass etwas irgendwann irgendwo in einer Zeitung gedruckt wurde, gilt schon als beinharter Beweis. Der Autor selber legt sich nie fest, außer darauf, dass die offizielle Version über den 11. September falsch ist.

Bröckers wirft den anderen Journalisten vor, dass sie den Amis alles glauben und ihren Job nicht richtig machen. Natürlich wird jetzt zurückgeschlagen, nicht nur im „Spiegel“. Hans Leyendecker hat in der „Süddeutschen“ eine Polemik verfasst, die Bröckers wie einen gefährlichen Geisteskranken aussehen lässt. Henryk Broder schreibt über ihn: „Bröckers wird sich sicher bald mit weiteren Theorien zu Wort melden. Es sei denn, dass er eines Tages in das falsche Flugzeug steigt und als Fettfleck an einer Hochhauswand endet.“ Wenn man ihn darauf anspricht, rührt Bröckers in seinem Kaffee, grinst und sagt: „Irgendwie mag ich den Broder.“

Bröckers ist ein Spieler. Ein Feuilletonist. Eine Künstlernatur. Der 11. September interessiert ihn als grandioser Stoff, und ob er darüber nun einen Krimi schreibt oder ein Drehbuch oder ein Verschwörungsbuch, ist ihm egal. Das ist meine Verschwörungstheorie über Mathias Bröckers.

Bush, schreibt Bröckers, sei ein „Wiedergänger Hitlers“. Und dann steht bei ihm dieses angebliche Zitat des israelischen Premiers Ariel Scharon: „Wir, die Juden, kontrollieren Amerika, und die Amerikaner wissen das.“ Als Beleg dient eine palästinensische Nachrichtenagentur im Internet, die sich allerdings nur auf eine Radiosendung beruft, welche sich wiederum auf nicht näher benannte Ohrenzeugen beruft. Ach, die Juden kontrollieren also den neuen Hitler? Könnte es nicht sein, dass die Juden auch schon hinter dem alten Hitler gesteckt haben? Dass der Neonazi Horst Mahler in einer Bröckers-Veranstaltung aufgetaucht ist, versteht sich wohl von selbst. Bröckers glaubt, dass Mahler ihn irgendwie missversteht.

Der doppelte Atta

Verschwörungen gibt es. Wer behauptet, dass demokratisch gewählte Regierungen immer die Wahrheit sagen und niemals Verbrechen begehen, ist unrettbar naiv. Italien wurde von Gangstern und der Loge P 2 regiert. Die NPD war jahrelang zu Teilen eine Inszenierung des Verfassungsschutzes. Die USA haben 1964 einen Angriff auf ihre Schiffe erfunden, im Golf von Tongking, um einen Kriegsgrund gegen Nordvietnam zu bekommen. Und Bismarck, unser großer Kanzler Bismarck, hat ein Telegramm seines Kaiser grob verfälscht, die Emser Depesche, um den Krieg gegen Frankreich zu erzwingen, einen Krieg, den er für notwendig hielt. Und so weiter.

Natürlich könnte George W. Bush ein skrupelloser Verbrecher sein, oder auch wahnsinnig. Das wäre in der Geschichte nicht der erste Fall dieser Art. Möglich ist alles, und, ehrlich gesagt, er hat durchaus ein bisschen was Irres im Blick. Aber was folgt daraus? Erst mal gar nichts.

Am vergangenen Sonntag trafen sich im Tempodrom die Verschwörungstheoretiker. Das Publikum: Familien mit halbwüchsigen Kindern, ältere Damen, junge Freaks. Mahler hatte Hausverbot, er kam sowieso nicht. Eckart Spoo, eine Ikone des linksliberalen Journalismus, las auf dem Podium die Fehler und Verbrechen der USA vor – Putsch in Chile, Beseitigung der demokratischen Regierung Mossadegh in Iran, Tonking ... Aber wenn man in einem Prozess das Vorstrafenregister des Angeklagten vorliest, beweist auch das gar nichts.

Es waren auch etliche Amerikaner da. Michael Rupert, vorgestellt als „ehemaliger Polizist“ aus Los Angeles, der im Stil eines Evangelisten predigt, Cynthia McKinney aus Georgia, bis vor kurzem Kongressabgeordnete der Demokraten, die rätselhafterweise über das Frauenwahlrecht sprach, oder Daniel Hopsicker, Filmemacher, der die These von den zwei Mohammed Attas vertritt. Der eine Atta ist strenggläubiger Muslim und ein verschlossener Typ, der andere trinkt fleißig und feiert bis in die Puppen mit attraktiven Christinnen. Er könnte natürlich ganz einfach ein widersprüchlicher Mensch gewesen sein, wie fast jeder. Oder hatte er einen Doppelgänger?

Die Veranstalter hatten sich im Tempodrom auf sieben Fragen geeinigt, damit es nicht zu kompliziert wird. Warum zum Beispiel wurden am 11. September nicht einmal Versuche unternommen, die Flugzeuge, nein, nicht abzuschießen, sondern abzufangen? Das geht doch. Zumindest beim Pentagon reichte die Zeit, innerhalb von zehn Minuten kann ein Abfangjäger in der Luft sein.

Ja, warum? Manche Sachen sind unbegreiflich. Gegen Ende des kalten Krieges, als die Luftabwehr noch viel aufmerksamer war als heute, fliegt zum Beispiel ein Amateur in einer Minimaschine ins Herz der Supermacht, mitten hinein in die Hauptstadt, und landet auf dem Roten Platz. Das war Mathias Rust, und es war unmöglich. Es muss das Werk von Opus Dei gewesen sein. Vielleicht in Zusammenarbeit mit dem Mossad.

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