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Kultur: Monarchie

Diedrich Diederichsen über neue ortsspezifische CDs Musik sucht Orte. Gegen ihren klassischen Ruf als flüchtige und ätherische Kunst und gegen einen falschen Universalismus reklamiert sie mit einem Nachholbedarf an Materialismus den Bezug zu bestimmten Spaces - ganz so wie die Bildende Kunst seit den sechziger Jahren.

Diedrich Diederichsen über neue ortsspezifische CDs

Musik sucht Orte. Gegen ihren klassischen Ruf als flüchtige und ätherische Kunst und gegen einen falschen Universalismus reklamiert sie mit einem Nachholbedarf an Materialismus den Bezug zu bestimmten Spaces - ganz so wie die Bildende Kunst seit den sechziger Jahren. Der Bezug zum konkreten Ort soll metaphysische Allgemeinheiten austreiben. Hier sind indes nicht all die vielen Musiker und Sound-Artists gemeint, die im öffentlichen oder Museums-Raum Klang installieren, sondern die relativ neuen Versuche, auch abstrakte Außenwelt und politische Territorien konzeptuell musikalisch zu besetzen: Städte, Länder und Atmosphären.

Random Inc alias Sebastian Meissner, einst ein Teil des Duo Autopoieses, dessen andere Hälfte, Ekkehard Ehlers, den Lesern dieser Kolumne kein Unbekannter ist, hat schon vor über einem Jahr eine politische Soundgeographie Jerusalems („Jerusalem", Ritornell/EFA) veröffentlicht: Sound- und Musikmaterial und Texte – poetische, statistische, politische – bezogen auf konkrete, übercodierte Punkte der Stadt. Für „Walking in Jerusalem" (Mille Plateaux/EFA) hat er sich mit allerlei prominenten digitalen Kollegen wie dem Rip-Off-Artist oder Tim Hecker zusammengetan, um aus statischen Bezugspunkten Bewegungen zu machen, Verknüpfungen herzustellen, auch zu neuen Texten, akustischem und visuellem Material. Mit dabei ist auch Ultra-Red, ein kalifornisches Kollektiv, das sich bisher – musikalisch-dokumentarisch – mit der Arbeit von Transgender-Feuerwehrleuten, einer akustischen Kartographie der schwulen Cruising-Szene im Griffith-Park und Sozialbauten für Latinos beschäftigt hat. Ihr zentrales Thema ist aber seit einiger Zeit die Grenze nach Mexiko, die sie in Soundreportagen spiegeln - um so einen Blick, der eben kein Blick mehr ist, auf visuell undurchdringlich gewordene Apparate von Macht und Repression zu lenken.

Das Thema der Grenze interessiert auch den von documenta und Venedig-Biennale her bekannten Sound-Künstler Carl Michael von Hauswolff, der vor zehn Jahren zusammen mit Leif Elggren die Königreiche Elgaland-Vargaland gegründet hatte. In deren n beanspruchen die beiden alle Grenzanlagen, Niemandsländer und internationalen Gewässer als Staatsgebiet. Nur mit Pässen ihrer Königreiche ausgestattet, versuchten sie zwischen Schweden und Estland zu reisen – in der Hoffnung, immer wieder von beiden Ländern mit ihren „ungültigen" Papieren abgewiesen zu werden, und sich so dauerhaft auf ihrem Territorium, der offenen See, aufhalten zu können. Hat nicht ganz geklappt, aber der Versuch, den Status des Abgeschobenen, des zwischen Staaten und Staatsangehörigkeiten Gezwungen zu einer symbolischen höheren Staatlichkeit zu verhelfen, haben die beiden nicht aufgegeben.

Zum zehnjährigen Jubiläum erschien nun eine Doppel-CD mit überraschend barjazziger Nationalhymne, Sound-Dokumenten aller möglichen Nationalfeierlichkeiten und Momenten konfrontativer Flüchtlingspolitik sowie diverse Sound-Pieces von Prominenten aus Performance, neuer Musik, Free Jazz, Improvisationsszene bis hin zu Punk-Veteranen (Ryoji Ikeda, Fennesz, Bruce Gilbert etc.) zu Ehren der beiden Könige und ihrer über die Welt verteilten Untertanen. Jeder reguläre Staat ist aus der elgaländischen-vargaländischen Perspektive Diaspora.

„K R E V - The Kingdoms of Elgaland - Vargaland 1992 - 2002" gibt es über www.ashinternational.com

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