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Bernd Heyden,  „Kinder im Hinterhof, Stargarder Straße, Ost-Berlin“, 1973

©  bpk/Bernd Heyde

Monat der Fotografie: Meditation im Metrobus

Berlin in Schwarz-Weiß: Bei den Ausstellungen im Rahmen des Monats der Fotografie präsentiert sich die Stadt in vielen Schattierungen: kühl, träumerisch oder subversiv.

Was ist es nächtlich, was ist es nostalgisch, dieses Berlin. Oder vielmehr der Eindruck von der Stadt, der beim Besuch der Ausstellungen des Europäischen Monats der Fotografie entsteht, die den Blick auf die Hauptstadt selbst richten. Schwarz-Weiß dominiert. In den historischen Ausstellungen überrascht das kaum, immerhin verbreitete sich Farbe erst in den siebziger Jahren in der künstlerischen Fotografie. Aber auch jüngere Fotografen besinnen sich auf vordigitale Techniken, tendieren zu Graustufen, zu analoger Arbeit. Vielleicht ein Versuch, den eigenen Posten gegen die unglaubliche Menge an Bildern zu verteidigen, die tagtäglich entsteht. Allein letztes Jahr wurden rund vier Milliarden Fotos gemacht, Tendenz steigend.

„Filtering the Future“ lautete das Motto der Eröffnungstage Anfang Oktober, das theoretische Präludium zum größten deutschen Fotofestival. Seine Dimensionen können überfordern: 130 Ausstellungen an 150 Orten. Es gibt aber auch Gelegenheit, sich allerorts von Fotografie überraschen, sie in stillen Galerieräumen auf sich wirken zu lassen. Ohne rein- und rauszuzoomen und dann weiterzuklicken.

Menschen und ihr Lebenswitz machen den Kiez aus

Fotografieren ist der Versuch, etwas Ungreifbares festzuhalten. Vielleicht war die Kamera deswegen seit ihrer Erfindung Begleiterin urbaner Flaneure, die mit Momentausschnitten das Besondere eines Ortes einzufangen versuchten. Wie unterschiedlich dieses ungreifbare Etwas sein kann, lässt sich im Willy-Brandt-Haus studieren. Dort stehen sich die Werke zweier Zeitgenossen gegenüber: Rainer König, im Westen der geteilten Stadt unterwegs, ließ das Provisorische, die Begegnung zwischen Trümmern und Wiederaufbau, zu seinem Recht kommen. Sein Augenmerk, ganz nachkriegsnüchtern, lag auf der Interaktion von Geografie und Bevölkerung, die sich in Bauformationen, Wegen und Durchbrüchen manifestiert. Aus dieser Stadt-Landschaft schöpfen seine Bilder ihre Muster, Menschen verlieren sich im Dekor.

Ganz anders Bernd Heyden: Bei ihm sind es die Menschen und ihr Lebenswitz, die die Stadt oder vielmehr den Kiez ausmachen. Zwischen 1960 und 1970 porträtierte er die Bewohner des damaligen Arbeiterbezirks Prenzlauer Berg. Jedem einzelnen räumen seine Bilder eine Geschichte ein, den rauchenden Jungs im Hinterhof, der Alten an der Imbissbude Stargarder Straße.

Fotografie von Rainer König.
Rainer König interessiert sich für das Zusammenspiel von Architektur und Mensch.

© bpk / Rainer König

Zwischen dem Prenzlauer Berg von Heyden und dem heutigen Chai-Latte-Bezirk liegen Welten. Eine davon ging ziemlich plötzlich unter: die DDR. Andreas Trogischs Bilder halten dieses Verschwinden fest. In der Galerie des Tempelhof-Museums sind Porträts von Ost-Berlinern ausgestellt, aufgenommen 1985. Sie zeigen Menschen, zurückgezogen in ihre Nischen, die der auseinanderbrechende sozialistische Staat nicht mehr zu schließen wusste. Ein unsicheres Warten versteckt sich hinter störrisch-stolzen Blicken. In den Straßenszenen von 1990, die den Gegenpol zu den Porträts bilden, ist von den Arbeitern, den Punks, den Kindern nichts mehr zu sehen. Der Blick prallt auf Wände, auf verschlossene Türen. Kleine Vorzeichen wie eine zerrissene Zigarettenwerbung „Test the West!“ verweisen auf eine Integration in die Bundesrepublik. Ansonsten: regellose Leere.

Platz für alles Subversive! Berlins so berühmtes Nachtleben mit seiner Dehnbarkeit in taghelle Stunden bekam Anfang der 90er einen neuen Dreh: Kreative Anarchie flutete die Stadt, Häuser wurden besetzt, Techno-Partys erfunden. Die Ausstellung „Wild Wild Berlin“ im Schöneberger Projektraum „Zwitschermaschine“ führt durch drei Dekaden der Berliner Feier-Szene: Miron Zownirs schwarz-weiße Achtziger-Punk-Insel weicht einem grenzenlosen Experimentierfeld für Kunst, Theater und normgelockertes Leben in Eva Otaño Ugartes Bildern aus den 90er Jahren.

Vergangenheitssehnsucht der Fotografie

Ein Subversium auf Zeit. Sein Verblassen in den 2000er Jahren zeichnen Sebastian Mayers Aufnahmen nach: Wie die Partys exzessiver werden, jeder aber die Katerstimmung für sich alleine ertragen muss. Wie eine neue Ironie um sich zu greifen beginnt, etwa ein langhaariger Hipster in perfekt inszenierter Selbstaufgabe ein Kreuz den Teufelsberg heraufschleppt. Mayers Collage wird zu den aktuellsten Werken hin immer komponierter – und persönlicher. Gerahmte Bilder, einsame Innenansichten sind in größerem Abstand gehängt. Sie deuten ein soziales Auseinanderdriften an, ein Abschotten.

Die japanische Fotografin Rika Noguchi führt die neue Weltabgewandtheit ins Träumerische. Ihre analogen Fotografien haben jeden dokumentarischen Gehalt verloren, meditieren stattdessen das Verhältnis von Licht und Sehen. Die Serie „To the Night Planet“, in der Loock Galerie zu sehen, entstand bei einer Busfahrt mit dem M29. Da wird aus einem regnerischen Berliner Winterabend ein Ausflug in rot-gelbe, grünblaue Schattensphären.

Fotos seien von Natur aus nostalgiebeladen, schrieb Susan Sontag 1979 im Essay „Über Fotografie“: „Eben dadurch, daß sie einen Moment herausgreifen und erstarren lassen, bezeugen alle Fotografien das unerbittliche Verfließen der Zeit“. Die Vergangenheitssehnsucht in den Ausstellungen des Monats der Fotografie liegt auch in der Natur des Mediums.

Die Berlin Kidz erheben sich über alle Regeln

Die Schauen dokumentieren aber außerdem einen Umgang mit Stadt. Thomas von Wittichs Bilder zum Beispiel zeigen die adrenalinsüchtigen Berlin Kidz, eine Graffiti-Crew, die für ihre waghalsigen Aktionen wie Surfen auf dem S-Bahn-Dach oder das Verzieren des Kirchturms von St. Bonifazius an der Yorckstraße berüchtigt ist. Ihre lebensmüden Aktionen sind auch ein Versuch, sich über alle Regeln zu erheben und sich den urbanen Lebensraum zu eigen zu machen.

Ein Spaziergang durch die aktuellen Foto-Schauen ist auch ein Gang durch viele kleine und große Ausstellungsstätten. Und die erzählen, anders als die nostalgischen Fotos, etwas über die Gegenwart der Stadt. Wittichs Arbeiten über die anarchistischen Berlin Kids zum Beispiel kann man in der Open Walls Gallery in Mitte kaufen, in einer hippen Galerie, in der sich ein graumelierter Riesenhund im Sessel fläzt. Auch ein Bild, auf dem „Made in Berlin“ stehen könnte.

Carolin Haentjes

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