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Kultur: „Mongoloide sind Unberührbare“

Regisseur Stefan Bachmann über seinen „Hamlet“-Eklat: Er wollte Ophelia mit einer geistig behinderten Frau besetzen

Herr Bachmann, in Ihrer Inszenierung des „Hamlet“ am Kopenhagener Königlichen Theater sollte eine 35-jährige Frau mit Down-Syndrom die Ophelia spielen. Das hat zum Eklat geführt. Drei Mitglieder des Ensembles haben ihre Rollen aus „ethischen Gründen“ zurückgegeben. Als Schauspieldirektor in Basel hatten Sie die Ophelia in einer „Hamlet“-Version in der letzten Saison mit einem männlichen Schauspieler besetzt. Nun vermutet man hinter der Entscheidung für die mongoloide Frau einen Regiegag.

Es war eine konzeptionelle Entscheidung. Die Ophelia ist für jeden Regisseur ein Problem. Diese Figur zwischen Mythos und Körperlosigkeit ist kaum spielbar, jedenfalls nicht für eine frisch ausgebildete junge Schauspielerin. Auch Hamlet ist ein Außenseiter, die Monologe geben aber Einblick in seine Person. Bei Ophelia steht auch diese Möglichkeit nicht offen. Sie ist geheimnisvoll, bleibt auf der Bühne ein Fremdkörper. Mongoloide Menschen sind für uns Unberührbare, sie haben Heiligenstatus und sind diskriminierte Außenseiter. Mich interessierte diese Konstellation.

Wie haben Sie mit dieser Ophelia gearbeitet?

Natürlich musste ich mir überlegen, was ein Mensch mit Down-Syndrom kann und was nicht. Alles Abstrakte geht nicht, auch konnte sie nicht im voraus viel Text lernen. Es ging mehr um Mitmachen, Einbeziehen, Integrieren. Die Arbeit hat sich sehr vielversprechend entwickelt, ich war begeistert. Die behinderte Frau, die noch nie zuvor auf der Bühne stand, hatte Freude am Spielen und improvisierte sehr frei.

Trotzdem kam es zum Konflikt.

Die Probenarbeit war aus ganz anderen Gründen schwierig: Das dänische Theater ist im Gegensatz zum avantgardistischen dänischen Film, obwohl da die gleichen Schauspieler spielen, extrem rückständig – genau umgekehrt wie in der Schweiz und in Deutschland. Ich wurde nach Kopenhagen geholt, um das neue Theater ins Haus zu bringen. Ich habe mich darum bemüht, habe unheimlich viel erklärt, mit den Schauspielern in ganz traditioneller Weise Stellproben gemacht. Trotzdem waren sie im Grunde nicht bereit, sich darauf einzulassen. So wurde die ethische Frage, ob man eine mongoloide Frau auf der Bühne ausstellen dürfe, zum Vorwand eines Boykotts, der sich eigentlich auf etwas ganz anderes bezog: Auf die Verunsicherung durch meine andere Art, Theater zu machen.

Was hat dann dazu geführt, dass Sie die Premiere abgesagt haben?

Die Theaterleitung hat auf die Diskussion ganz falsch reagiert. Schon dadurch, dass sie sich überhaupt darauf eingelassen hat und den Schauspielern ohne mein Wissen sofort freistellte, die Produktion zu verlassen. Mit drei Abgängen konnte und wollte ich nicht weiterarbeiten. So geht es auch Jens Albinus, der in Lars von Triers Dogma-Film „Idioten“ spielte und hier den Hamlet geben sollte. Er hat angekündigt, aus Protest gegen die Unfähigkeit der Theaterleitung nie wieder am „Kongelige Teater“ zu spielen. Lars von Trier übrigens, der als Außenstehender das Problem genau erkannte, schrieb in einem Leserbrief, man solle das Königliche Theater schließen. Denn dort drohten Behinderte den Schauspielern die Jobs wegzunehmen.

Trotzdem: Mit der „ethischen Debatte“ musste gerechnet werden.

Ja, aber diese Diskussion gehört in den Zuschauerraum – und dafür muss man den Zuschauern die Produktion erst einmal präsentieren. Außerdem bin ich überzeugt, dass diese Ophelia eine große poetische Kraft gehabt hätte. Sie wäre sehr positiv aufgenommen worden, womit sich die Debatte in dieser Form erübrigt hätte.

Die Fragen stellte Simone Fässler.

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