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Kultur: Montag links oben: Die Pilotin

Haben Sie eine Ahnung, wie es sich anfühlt, auf dieser Welt ein Mädchen zu sein? Letzte Woche wollte ich fliegen.

Haben Sie eine Ahnung, wie es sich anfühlt, auf dieser Welt ein Mädchen zu sein? Letzte Woche wollte ich fliegen. Nicht von einem Hochhausdach oder von einer Kirchturmspitze, oder wo die jungen deutschen Filmemacher ihre Helden und Heldinnen sonst so hinaufschicken, um sie den Satz "ich will fliegen" sagen zu lassen. Sondern einfach nur mit einem Airbus. Zu einem dringenden Geschäft nach Frankfurt. Doch wie jeder Bus braucht auch der Airbus einen Fahrer. Und der streikte, weil er sich irgendwie unterbezahlt fühlte. Ich rannte zu meinem Auto (alter Ford Mustang) zurück, das ich in einem der Wucher-Parkdecks stehen gelassen hatte. In der festen Zuversicht, es nie wieder dort abzuholen.

Haben Sie eine Ahnung, wie es sich anfühlt, auf dieser Welt ein Mädchen zu sein? Im Rennen fiel mir ein, dass ich als Spätkind auch mal hatte Pilotin werden wollen. Ich hatte sogar den ersten Schritt in die Realität getan und mir die Bewerbungsunterlagen von der Lufthansa kommen lassen. Interessierte Lektüre bis zum Paragraphen "physische Voraussetzungen", Unterpunkt 3: "Mindestkörpergröße 170 cm". Kann sein, dass ich mir damals noch die Mühe gemacht hatte, bei Lufthansa anzurufen. Ob ich fürderhin Vertrauen in ein Unternehmen haben könne, das nicht in der Lage ist, Pilotensitze zu entwerfen, bei denen auch 165 Zentimeter kleine Menschen an alle Steuerknüppel und Schaltknöpfe rankommen. Sicher ist, dass ich damals keine Antwort bekommen habe. Und dass heute niemand von mir erwarten würde, 17 Mark für eine halbe Stunde Parken zu zahlen, hätte Gott mich in seiner unergründlichen Güte ein wenig mehr auf die Streckbank gelegt.

Wahrscheinlich brauchen Piloten eine bestimmte Körperspannweite. Um den Flieger aufzufangen, wenn er runtergeht. Ich warf den Lederkoffer, auf den mein Geschäftstermin am Frankfurter Flughafen wartete, auf den Beifahrersitz und trieb den Mustang durch die geschlossene Schranke. Denn obwohl mich die Lufthansa für zu klein befunden hat, heißt das nicht, dass ich bereit bin, 17 Mark für eine halbe Stunde Parken zu zahlen.

Haben Sie eine Ahnung, wie es sich anfühlt, auf dieser Welt ein Mädchen zu sein? Hinter mir begann eine Sirene zu jaulen. Auch so eins der Dinge, die ich nie begreifen werde. Wieso man sich in unserer modernen Zeit darauf geeinigt hat, Sirenen Sirenen zu nennen. Wunderschön sollen sie doch gesungen haben, die Sirenen, damals im alten Griechenland, so schön, dass jeder, der sie hörte, auf der Stelle sterben wollte. Was für eine Barbarei, dieses "Wart, wart, wir kriegen dich"-Gekreisch, das mir jetzt auch vom Dach eines grün-weißen Autos hinterher geiferte, mit dem Namen für den süßesten Todeslockgesang zu belegen. Wenn schon, dann sollten sie es Erinnye nennen, dieses brachial-banale üäüäüäüäähh. Ich holte die Magnum aus dem Handschuhfach.

Haben Sie eine Ahnung, wie es sich anfühlt, auf dieser Welt ein Mädchen zu sein? Hinter mir krachte es: Kugel durch Scheibe, Auto in Leitplanken, Auto in Auto in Leitplanken. Mit vorübergehend freiem Rücken steuerte ich den nächsten Drive-Through an und bestellte eine große Portion Pommes samt zugehöriger Cola light. "Warum haben Sie nicht den Zug genommen", werden die Optimisten unter Ihnen an dieser Stelle einwenden. Die Antwort ist einfach: Ich fahre nicht Zug. Wenn ich so ein ausgebrannter Atombrennstab auf seiner letzten Reise wäre, dann vielleicht. Aber nicht, solange ich noch braune Sacharinbrause durch einen Strohhalm nuckeln kann.

Die grün-weißen Erinnyen kamen wieder. Sie hatten Verstärkung mitgebracht. Ich schnallte den Lederkoffer neben mir an, warf das fettig-klebrige Zeug durchs runtergekurbelte Fenster in einen Mülleimer und gab Gas. Üäüäüäüäähh. Im Rückspiegel entdeckte ich einen Pickel. Links unten am Kinn. Gas. Gas. Gas. Wer braucht die Lufthansa, wenn er einen Ford Pegasus hat. Die Tachonadel kletterte in den Bereich, wo die Luft dünn wird. Und da plötzlich hörte ich etwas. Durch das ganze häßliche üäüäüäüäähh hindurch hörte ich einen leisen zarten Gesang. Sei guten Muts! Ich bin nicht wild, sollst sanft in meinen Armen schlafen ... Armer wichtiger Mann, der am Frankfurter Flughafen auf seinen Koffer wartete. Aber wer hätte damit gerechnet, dass Leitplanken singen können ... Ich schloss die Augen und lächelte. Haben Sie eine Ahnung, wie es sich anfühlt, auf dieser Welt ein Mädchen zu sein?

Am nächsten Montag: Else Buschheuer.

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