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Kultur: Montag links oben: Einfach zurückküssen

Meine Kollegin Tina und ich erschraken vor ein paar Tagen über eine Zeitungsmeldung: In einer Untersuchung gaben in Deutschland 93 Prozent aller Frauen an, dass sie zumindest einmal in ihrem Arbeitsleben sexuell belästigt wurden. Tina und ich stellten fest, dass wir zur Sieben-Prozent-Minderheit gehören.

Meine Kollegin Tina und ich erschraken vor ein paar Tagen über eine Zeitungsmeldung: In einer Untersuchung gaben in Deutschland 93 Prozent aller Frauen an, dass sie zumindest einmal in ihrem Arbeitsleben sexuell belästigt wurden. Tina und ich stellten fest, dass wir zur Sieben-Prozent-Minderheit gehören. "Bin ich häßlich?", fragte Tina. Sie brauchte Trost. "Hat dir noch nie ein Kollege gesagt, daß du tolle stramme Kegel-Beine hast, Tina?" "Doch." "Hat dich noch nie ein Kollege ein bißchen geherzt?" "Na ja, einer fragt mich öfters, ob er seine Hände ganz kurz auf meine Hüften legen darf, und zwar immer, wenn ihm kein guter Anfang für seinen Artikel einfällt. Er findet, meine Hüften sind so rund, wie eben ein erster Satz rund sein soll." "Na bitte." "Aber belästigt hat mich noch keiner!"

Tina und ich sind ja schon eine Weile dabei. Wir zweifeln nicht mehr daran, dass Männer Triebwesen sind. Männer kommen ins Büro mit dem inneren Appell: Unbedingt! Arbeiten! Müssen! Schweben hohe Beine vorbei, wandelt sich dieser in: Überall Streicheln und Küssen! Zärtlichkeit ist meistens hilfreich. Weiß ich, seit mir ein NDR-Moderator mal zuseufzte: "Ihr Frauen glaubt immer, wir Männer wollten bloß das eine. Ihr habt überhaupt keine Ahnung, wieviel Zärtlichkeit wir brauchen!"

Doch, Genosse, Tina und ich brauchen sie ja auch. Zum Glück haben wir ein paar Kollegen, die wir bei jeder Gelegenheit herzen und küssen können. Wir atmen gern ihren Rasierwasserduft ein und fassen gern ihre rundlichen Hüften an. Haben die Männer gerade einen Schreibanfall, sagen sie: Zieh weiter, Kollegin, ich arbeite, du lenkst mich ab. Fällt ihnen gerade eher nichts ein, möchten sie gern geherzt und geküßt und sexuell belästigt werden.

Jetzt das Problem: Von den jungen Frauen wird heute viel erwartet. Sinkt irgendwo eine Auflage, befiehlt der Chefredakteur, mehr junge Frauen einzustellen. Junge Frauen, glauben ältere Männer, tragen ein geheimes Wissen mit sich herum. Etwa, warum die Börse in sich zusammensinkt oder eben eine Zeitungsauflage.Nur hat sie niemand darauf vorbereitet, dass ein Büro ein sexuelles Terrain ist, und zwar eines unter schärfster gegenseitiger Beobachtung. Junge Frauen wissen noch nicht, dass sie Männer unabsichtlich der schlimmsten Prüfung aussetzen: nämlich keinerlei Andeutung machen zu dürfen.

Irgendwann werden sie das daraus folgende Sublimieren durch Diskutieren viel belästigender finden als etwa den Satz: Sie haben aber einen hübschen Hintern. Irgendwann wünscht sich jede in einem Büro arbeitende Frau, dass die Männer ihre geheimen Wünsche offenbaren, statt ihr anhaltend die Zeit zu stehlen, weil sie um das herumreden müssen, was sie nicht aussprechen dürfen. Apropos Belästigung: Fällt ihnen zum Gegenstand der Diskussion gar nichts mehr ein, weichen Männer gern auf die Kleidung aus. Sie sagen etwa: "Ziehen Sie doch mal einen Rock an statt dieser Bundfaltenhose." Junge Frauen können das nicht deuten. Oft genug gehorchen sie, statt freundlich zu antworten: "Das mach ich genau nicht, dann können Sie nämlich überhaupt nicht mehr arbeiten." Junge Frauen erschrecken ein wenig oder empören sich sogar, wenn sie spüren, dass ihre Figur begutachtet wird. Irgendwann finden sie heraus, dass es lustiger ist, zurückzuküssen.

Eine Frau, die in einem Männerbüro gut leben will - die also zu den sieben Prozent unbelästigter Frauen mit ausreichend Zärtlichkeitsgelegenheiten gehören möchte -, braucht neben einer etwa dreijährigen Berufsausbildung noch eine zwanzigjährige Erfahrung im Umgang mit Männern! Die Frau ist dann endlich über Vierzig, hat allerlei geheimes Wissen erworben und liest, wenn sie gerade keinen Kollegen küsst, in der Kantine den Wirtschaftsteil der "FAZ". Die Tina-Hotline unterbach mich in meinen Tagträumen: "Bist du wieder gut gelaunt?" fragte ich sie. "Nein", stöhnte Tina, "eben hat mich eine Kollegin gefragt, ob ich schon als junge Frau untenrum so stark gewesen sei. Erstens bin ich doch wirklich untenrum nicht stark und zweitens immer noch jung! Warum eigentlich sind Frauen in Büros so gemein zueinander?"

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