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Kultur: Montags links oben: Unter Löffelhunden

Was macht ein Mensch (also ich) an einem grauen Sonntag mitten in Berlin, wenn er die anderen Menschen satt hat (und diese ihn)? Wird er lesbische Radikalfeministin?

Was macht ein Mensch (also ich) an einem grauen Sonntag mitten in Berlin, wenn er die anderen Menschen satt hat (und diese ihn)? Wird er lesbische Radikalfeministin? Schmeißt er sich was Hippes in den Wok? Geht er ins Café Kranzler und schraubt die Zuckerdosendeckel locker? Schließlich besinnt er sich anders, der Mensch, zahlt 15 Mark Eintritt und geht in den Zoo. Begrüßt das Breitmaulnashorn, das Schneisen in den Gehegesand gräbt, zärtlich mit "Fette Sau!", schaut auf den Nashorn-Arsch, welcher ihn an die alte Wrangler-Werbung erinnert, und fühlt sich selber plötzlich wieder federleicht.

Denn das unterscheidet den Menschen vom Tier: sich besser zu fühlen, wenn andere dümmer sind, dicker, ärmer. Wahrlich, wir haben die Ausrottung verdient, denkt der Mensch, denn sonntags ist er gern pathetisch. Am Ende werden die Tiere uns überleben wie bei Orwell, Frau Berg und auf dem "Planet der Affen". Aber trotzdem. Will man ein Tier sein, schon gar ein gefangenes? Man muss gefangenen Tieren helfen, denkt der Mensch, denn sonntags ist er gern mal gut. Aber wie, wie bloß?, grübelt er, denn grüblerisch ist er immer. Lässt man sie frei? Boykottiert man den Zoo? Übernimmt man eine Patenschaft? Erschießt man sie? Oder stellt man besser Fernseher ins Gehege?

Der Mensch weiß es nicht. Und ein paar Meter weiter interessiert es ihn auch schon nicht mehr. Er rülpst ein bisschen und zieht sich ein Magnum-Eis, denn sonntags ist er manchmal leckerfritzig. Und dann lernt er Eis schleckend, dass Elefanten zwei Jahre schwanger sind, um schließlich 100-Kilo-Babys zu kriegen. Der Mensch will den Elefanten fragen, ob er glücklich ist, aber der schaukelt stumpf hin und her und reagiert nicht auf "Kuckuck!" Und während der Mensch umsonst "Kuckuck" ruft, wird er vom Regen überrascht. Geduckt hastet er durch feinen Niesel weiter, findet die Flamingos appetitlich, optisch Lachs und Sahne, akustisch eher Fußballhupe. Ein Stück weiter schießt ein Affe Purzelbäume. Ein Ehepaar steht schweigend davor. Heute wäre Fußball, denkt er. Mein Kerl und der Affe, Zwillinge, nach der Geburt getrennt, denkt sie. Der Affe heißt Dufte. Affen wie Dufte werden auch Altweltaffen genannt, liest der Mensch auf dem Schild, und es gefällt ihm gut, denn er selbst ist ein Neuweltaffe.

Der Regen lässt nach. Der Mensch geht weiter. Die Giraffen, die über 5,8 Meter Standhöhe verfügen, wohnen standesgemäß. Orientalisch mit Türmchen, märchenhaft. Bäh, sagt die Giraffe zum Menschen und steckt ihre halbmeterlange pelzige Zunge raus. Pro Tag und pro Tier fällt sie 20 Minuten in Tiefschlaf, erfährt der Mensch vom Hinweisschild. Und ein Zusatz lässt ihn schaudern: "In dieser Zeit ist sie völlig wehrlos." Warum stehen nicht vor allen Menschenhäusern solche Hinweisschilder, denkt der Mensch. Dann wüsste man gleich, wer über Ventilklappen im Hals verfügt, die beim Trinken einen Blutstau im Gehirn verhindern. Oder ob er morgens seinen durch den Kehlsack verstärkten Reviergesang hören lässt. Oder ob er 40 Mal am Tag Sex braucht und 40 Kilo Fleisch pro Mahlzeit wie ein afrikanischer Löwe.

Im Raubtierhaus riecht es nach alten Socken, die auf der Heizung trocknen. Der Mensch schlendert durch den Geräuschteppich aus echtem und falschem Dschungel. Ein Erdmännchen ist dort beheimatet. Ein Löffelhund, der sich selbst in den Schwanz beißt. Eine Tüpfelhyäne auf einem Baum. Ein schüchterner Zwergotter, der sich versteckt. Eine Sandkatze, die leise auf dem Hochsitz schnarcht. Ein Panda, mit müdem Stolperschritt immer um den Deko-Baumstamm rum. Ein possierlicher Streifenmungo, der Erdnüsse frisst. Zwei Zwergenotter, die synchron mit den Bärten wackeln. "Du meine kleine Tüpfelhyäne", sagt der Mensch leise vor sich hin, "du Löffelhund, Erdmännchen, Sandkatze, Kleinfleckkatze", flüstert er heiser, aber ihm fällt niemand ein, dem er solch schöne Kosenamen geben könnte. Noch auf dem Heimweg grübelt er, wie die Tiere die Menschen wohl nennen und hat viel gerochen und gesehen und gedacht für seine Verhältnisse für 15 Mark an einem grauen Sonntag mitten in Berlin.

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