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Kultur: Mord hinter Spiegeln

Sieben Jugendliche - im Halbkreis aufgestellt - blicken zornig in die Kamera.Ein dunkelhäutiges Mädchen mit schwarzen Zöpfen steht in der Mitte der Gruppe und gehört doch nicht dazu.

Sieben Jugendliche - im Halbkreis aufgestellt - blicken zornig in die Kamera.Ein dunkelhäutiges Mädchen mit schwarzen Zöpfen steht in der Mitte der Gruppe und gehört doch nicht dazu.Es ist nur ein schwarzweißes Foto von vielen, die im Foyer der Schiller-Werkstatt die "Geschichte einer Ausgrenzung" erzählen."Ich soll an meine Zukunft denken, aber ich habe keine", steht unter dem Bild - ein Satz aus "Andorra", dem Moralstück von Max Frisch, das Marcelo Diaz mit dem carrousel-Theater für dessen Spielstätte an der Bismarckstraße inszeniert hat.

Bereits 1961 wurde die Parabel uraufgeführt.Daß sie bis heute nicht an Aktualität verloren hat, erweist sich Tag für Tag: Andorra ist überall.Auch in Deutschland - mit Angriffen auf Ausländer und Andersdenkende, mit unschuldigen Opfern wie dem Jungen Andri, der von den Biedermännern Andorras ausgeschlossen, verfolgt und schließlich getötet wird, nur weil sie ihn für einen Juden halten.Doch woher rührt der Haß der Menschen gegenüber dem Fremden?

Vielleicht ist es die Dummheit einer Ego-Gesellschaft, die sich nur selber sieht und das andere nicht.Die gewölbten, matten Spiegel jedenfalls, die Gerd Wiener an die weißen Wände der Werkstattbühne gehängt hat, zeigen nur ein verzerrtes Selbstbild der Menschen.Durch geschickte Anordnung der Spiegel werden die Zuschauer als Zeugen auf die Bühne geholt, entsteht auch der Eindruck, man habe es mit einem unendlich großen Raum zu tun.Doch Andorra ist eine Gefängniszelle.Auch wenn die Spiegel wie Fenster angeordnet sind - den Blick geben sie nur auf die eigene, beschränkte Welt frei.

Eine Welt, die von blassen Gestalten bewohnt wird.So weiß wie ihre Wände sind auch die Gesichter der Andorraner.Masken, hinter denen sich außer Blödheit nichts verbirgt.Ein falsches, ein glückliches, ein reiches Volk.Sogar der Tischler ist fein gekleidet mit Anzug, Krawatte und Al-Capone-Hut.Und doch liegt schon zu Beginn ein Gewitter in der Luft, das sich am Ende grausam entladen wird.Am Spiegel, den der von Michael Schwager satanisch gespielte Soldat mit rotem Alkohol bespuckt, klebt später Blut.Das Grauen steigert sich langsam - mit der Musik von Dietrich Petzold.Liebliche Geigenmelodien verwandeln sich in leises Kratzen.Klavierdissonanzen kündigen von der Hinterbühne aus das unheilvolle Ende an.

Für den Mord an am "Judenkind" Andri fühlen sich die Andorraner nicht verantwortlich.Zwischen den Szenen steht immer wieder einer von ihnen im Lichtstrahl und beteuert seine Unschuld.Sie treten durch eine Tür, die wie ein Schafottmesser nach oben gezogen wird.

Die Schauspieler des carrousel-Theaters geben ihre Scharfrichter-Andorraner eindrucksvoll als grausame Heuchler.Die Entdeckung des Abends aber ist Michael Mienert als Andri, der Junge, der die Rolle des Juden, das Schicksal, "anders" zu sein, schließlich annimmt.Wie sich sein leises Träumen in dumpfen Selbsthaß wandelt, zeigt er mit kleinen Gesten: einem zunehmend starren Blick, innerlicher Versteifung.Er spürt bald, daß das Vorurteil der Andorraner sein Todesurteil bedeutet.Ein Satz von Can, dem Vater Andris, hinterläßt Betroffenheit: "Geht heim vor euren Spiegel und ekelt euch."

Weitere Aufführungen am 20.und 21.Februar, jeweils 19.30 Uhr.

ANDREAS KRIEGER

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