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Kultur: Morgen in Moskau: Salzgurken und Musik

Der russische Maler und Schriftsteller Maxim Kantor ist eine fliegende Existenz.Der zugleich hellste und düsterste Stern der jungen Moskauer Kunstszene fliegt von Berlin nach Moskau nach Chicago und dann nach Oldenburg, wo er jeweils neue Ausstellungen eröffnen muß.

Der russische Maler und Schriftsteller Maxim Kantor ist eine fliegende Existenz.Der zugleich hellste und düsterste Stern der jungen Moskauer Kunstszene fliegt von Berlin nach Moskau nach Chicago und dann nach Oldenburg, wo er jeweils neue Ausstellungen eröffnen muß.Dann will er schnell zurück nach Moskau.Da lebt er und "will immer dort leben, auch wenn es weh tut".Hell ist Kantor, weil er sehr begabt und sehr berühmt ist.Seine expressionistischen Figuren aus dem Moskauer Alltag bevölkerten den russischen Pavillon auf der letztjährigen Biennale in Venedig.Düster ist der 40jährige, weil unendlich ernst und meistens pessimistisch.Sein "Staat", so der Titel eines Gemäldes von 1995/97, ist eine rote Endlosspirale aus kleinen, expressionistisch gezeichneten Menschen, aus Alten, Armen und Trinkern, Autos, Häusern, marschierenden und die Gewehre präsentierenden Soldaten, die sich um eine amorph-weiße Mitte satter, großer, dicker Köpfe windet.

"Kommen Sie auch bald nach Moskau.Da ist es jetzt endlich wieder interessant", wirbt er bei einem Gespräch zwischen Cocktails und Salzmandeln."Krise in Rußland"? Ach was, Krise, tiefer Fall des Rubels oder Schuldzuweisungen an irgendwelche Jelzins oder Tschernomyrdins oder Hoffnungen auf einen Primakow oder Luschkow.Es geht um mehr.Um nichts weniger als um "das Ende der Illusion einer universellen Zivilisation", um das "Hervortreten des wahren Rußlands hinter der Maske der europäischen Kultur".Nur auf der persönlichen Ebene ist für Kantor jetzt die Zeit der Sorgen wegen der politischen und wirtschaftlichen Krise.Sicher, auch deshalb muß Kantor schnell zurück nach Moskau: Sich um die Familie kümmern, seine "Verantwortung" wahrnehmen.Aber eigentlich, da "das Kartenhaus zusammenfällt", ist es allerhöchste Zeit, endlich die geschichtsphilosophische Botschaft zu erkennen und dabeizusein wenn sie sich erfüllt."Rußland ist wieder auf der Reise zu sich selbst."

Kantor hat in den Tagen, bevor er von Moskau abreiste, nicht eingekauft.Er hat sich nicht in die Schlangen nach Grundnahrungsmitteln gestellt.Er hat keine Dollars eingetauscht und ist nicht zum Hamstern aufs Land gefahren.Er war froh, daß ihn dort niemand gefragt hat "Was tun, Herr Kantor?".Er weiß keine Antwort.Aber er hat getan, was jetzt alle wahren Künstler Rußlands tun sollten: "Arbeiten, im Atelier und am Schreibtisch." In den vergangenen 10 Jahren hätten die russischen Intellektuellen versucht, westliche Intellektuelle zu werden."Sie liefen zu Konferenzen, um zu zeigen, daß sie auch Europäer seien.Sie reisten und schrieben darüber, oder sie taten gar nichts." Jetzt werde sich der ganze fruchtlose Rummel der "Kulturologie", die "demokratische Illusion, daß jeder ein Künstler sein kann", ein Ende finden, prophezeit Kantor.

Maxim Kantor hat im Moskau der Krise gemalt und gezeichnet und einen Essay geschrieben: "Die rückwärtige Perspektive Rußlands".Rußland, meint Kantor, ist nicht Europa und nicht Asien, sondern einfach nur Rußland.Es werde jetzt vermutlich tief fallen, vielleicht vorübergehend von einem "Dummkopf" wie General Lebed regiert werden.Auf der "familiären Ebene" wird das schlimm.Auf der "historischen" aber wird es "weder gut noch schlecht" sein, sondern einfach nur unausweichlich.Die Reise, die Rußland vor sich hat, dauert länger als zehn Jahre.Wegweiser wie "soziale Marktwirtschaft" oder "Demokratie" helfen nicht weiter.Am Ende werde Rußland jedenfalls wissen, wovon es leben soll: "Von Salzgurken, von Antonov-Äpfeln, von Kartoffeln, von russischer Kunst, Literatur und Musik."

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