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Kultur: Moses mal anders

Jüdische Kulturtage in der Synagoge Rykestraße: Ben Becker, Giora Feidman – und die Singakademie.

Erst die Bibel und jetzt Celan. Nein, man kann nicht sagen, dass Ben Becker bei seinen Rezitationsprojekten kleine Brötchen backt. Doch im Gegensatz zu seiner 2007 im Berliner Tempodrom uraufgeführten Bibel-Show mit der Zero Tolerance Band, die mehrere Jahre in ausverkauften Hallen lief, ist bei seiner Paul-Celan-Hommage „Zweistimmig“ die Musik unendlich viel besser. Dafür steht das mit Guido Jäger am Kontrabass und Reentko Dirks an der Gitarre besetzte, feinnervige Akustiktrio des großen alten Klezmermusikers Giora Feidman. Leise, leise schwebt sein noch im Mittelgang gespielter erster Klarinettenton zur goldbestirnten Apsis der prächtigen Synagoge Rykestraße und gibt damit gleich die kunstvoll reduzierte und konzentrierte Wahl der musikalischen Mittel vor. Sein mal intimes, mal schrill überblasenes Spiel taugt als klug eingezogener Resonanzboden für Paul Celans Dichtung. Was man von Ben Beckers Brummbass und Intonation kaum sagen kann. Ja, auch Paul Celan selbst hat die „Todesfuge“ aus dem diesem Programm zugrunde liegenden Band „Mohn und Gedächtnis“ von 1952 mit dem heute ziemlich gruselig klingenden Pathos eines 40er-Jahre-Schauspielers vorgetragen. Aber nicht in so einem breiigen Tremolo, das zu viele unsaubere Zwischentöne und allerlei Bedeutsamkeitsgeröll mit sich führt. Obwohl sich Becker bei diesem, von den Zuhörern nach dem von einer extra langen Kunstpause gefolgten Wort „Todesfuge“ mit gespanntem Einatmen erwarteten Schlüsselgedicht des 20. Jahrhunderts diszipliniert. Er hellt die Stimme auf, akzentuiert die Worte klarer. Bei „Espenbaum“ oder „Wolfsbohne“ ist das theatralische Vibrato noch weitaus schlimmer. Nur gut, dass Feidman dieses Rangewanze an die so atemberaubende wie sperrige und genuin musikalische Lyrik des vom Holocaust bis zum eigenen Freitod gezeichneten Celan immer wieder mit seiner Klarinette neutralisiert. Womit man wieder bei der alten, nie eindeutig zu klärenden Frage wäre, ob Musik und Lyrik in der gefälligen Darreichungsform der Konzertlesung überhaupt funktioniert. Die 2000 in der Synagoge jedenfalls jubeln. Gunda Bartels

Am Mittwochabend hatten die Jüdischen Kulturtage in der Rykestraße ein musikalisches Großprojekt zu Gast. Die Singakademie zu Berlin, der Staats- und Domchor sowie die Kammersymphonie unter Kai-Uwe Jirka brachten das künstlerische Hauptwerk eines wichtigen Unbekannten aus der Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts in das gründerzeitliche Gotteshaus: „Mose, ein Oratorium nach der heiligen Schrift“, 1841 komponiert von Adolph Bernhard Marx. Es war ein umstrittenes Werk: Felix Mendelssohn Bartholdy, der den ersten Librettoentwurf geliefert hatte, verweigerte die Uraufführung, während sich Franz Liszt dafür starkmachte. Zu Recht. Denn auch wenn „Mose“ formal und melodisch nicht die Prägnanz der Oratorien Mendelssohns besitzt, bietet es doch eine kraftvolle Erzählung des alttestamentarischen Geschehens. Jedenfalls, wenn Interpreten am Werk sind, die Stilkenntnis mitbringen und sich bewusst und hörbar mit der dramatischen und psychologischen Situation der Figuren auseinandersetzen. Spannend ist es zu verfolgen, wie mutig sich Marx von der Oratorientradition Bachs und Händels zu entfernen sucht, um ohne protestantische Vorzeichen eine glaubhafte biblische Erzählung zu schaffen. Dass sich sogar Wagner für dieses Modell eines jüdischen Volksoratorium interessierte, sollte nicht verwundern: Musikalische Logik kann bisweilen ideologische Grenzen überwinden. Carsten Niemann

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