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Kultur: Mozarts Nachtgestalten

Don Giovanni braucht den Abgrund: Filmregisseur Andreas Dresen über sein Basler Operndebüt

Herr Dresen, Sie inszenieren in Basel Ihre erste Oper, „Don Giovanni“, im Mozartjahr. Ist das ein besonderer Druck?

Als der Termin näher rückte, habe ich schon Panik bekommen, klar. Wäre ich nicht gefragt worden, hätte ich mir nie angemaßt, eine Oper zu inszenieren. Ich lerne einen Teil dieser Arbeit ja erst beim Gehen. Ich habe aber auch schon Projekte abgelehnt: Ich bin kein Bilderbauer, ich muss an Figuren entlang erzählen können.

Sie gelten als akribischer Arbeiter. Wie haben Sie sich vorbereitet?

Ich hatte mir fest vorgenommen, dass ich die Oper singen kann, wenn wir anfangen. Ich bin jetzt fast so weit. Weil ich keine Noten lesen kann, bin ich darauf angewiesen, mir das über das Hören anzueignen. Ich habe dabei die überraschende Erfahrung gemacht, dass vieles von dem, was man empfindet, wenn man die Musik über das Gefühl wirken lässt, sich auch theoretisch belegen lässt. Es war für mich eine interessante Entdeckung, wie Mozart dramaturgisch funktioniert und seine Musik ganz andere Dinge erzählt als der Text.

Zum Beispiel?

Gleich die erste Szene, in der sich Donna Anna und Don Giovanni vor dem Haus balgen. Ich hatte das Gefühl, dass Mozart durchaus eine dramatischere Szene hätte schreiben können. Es ist doch seltsam, wenn jemand so leise um Hilfe ruft.

Als wolle sie ihn doch?

Irgendwie schon. In der Musik vereinen sich auch die Linien der beiden sehr schön, sie singen ja zusammen. Der Text erzählt das ganz anders. Die Musik hat eine ganz andere dramaturgische Linie.

Giovanni ist keine typische Dresen-Figur. Er hat Geld, keine wirklichen Probleme, er ist ruchlos, er tötet . . .

Mich reizt, dass er den Abgrund zum Leben braucht, dass er stets auf der Rasierklinge tanzt. Er schert sich einen Teufel um Konventionen. Das ist ein Anarchismus, nach dem man sich manchmal selbst sehnt, eine schöne Provokation der Gesellschaft – bei allen Verletzungen, die er anderen zufügt. Die Kernfrage ist doch: Wie kann man leben? Man organisiert sich gewöhnlich in Gruppen und geht Verpflichtungen zueinander ein. Das verweigert Giovanni. Er lebt eine Triebhaftigkeit, die wir im Alltag unterdrücken. Es ist interessant, mit wie viel Sympathie Mozart ihn im Musikalischen ausstattet. Dass ein Mörder als Liebhaber erzählt wird, ist schon aufregend. Und er kann nirgendwo ankommen, das bringt sein Leben mit sich, es gibt Momente großer Einsamkeit. Die wollen wir ihm geben.

Sie sagten einmal, man müsse Figuren, von denen man erzählt, lieben. Was lieben Sie an Don Giovanni?

Dass er Dinge tut, die sich sonst keiner traut. Darum verfallen ihm alle, dafür lieben ihn die Frauen. Er hintertreibt zwar jede Art von Beziehung, aber irgendwie hält er auch alle Leute zusammen. Er ist das Zentrum, aber zugleich sprengt er die Konstellationen. In der letzten Szene sieht man, was passiert, wenn er nicht mehr da ist: Wie sich diese Gesellschaft an einer billigen Moral festzuklammern versucht, aber eigentlich ziemlich öde ist. Da fehlt derjenige, der das alles in Bewegung gehalten hat. Es ist alles erstarrt. Lieber im Dschungel leben als im Zoo.

Ihr Kollege Michael Haneke zeigt „Don Giovanni“ in Paris gerade sehr modern in der Businessetage. Wo spielt er bei Ihnen?

In einer Großstadt bei Nacht. Die Geschichte lässt sich ohne größere Probleme übersetzen. Mozart hat sie ja selbst in seine Zeit geholt mit den Anspielungen auf die französische Revolution, die Freigeistigkeit. Ich habe das bislang noch nie gemacht: Ich habe Stoffe im Theater immer traditionell angefasst, nur die Haltung war heutig. Im „Giovanni“ fanden wir, dass man vermeiden muss, dass er im Historizismus erstarrt. Auch indem man einen Tonfall für die Rezitative findet, der moderner ist. Hier kann ich den Rhythmus bestimmen.

Im Film verweigern Sie große Gesten. Wie übertragen Sie das auf die Opernbühne ?

Ich arbeite ganz anders als im Film. Nicht weniger psychologisch, aber ich suche eine andere formale Übersetzung, weil mir die Großaufnahme fehlt. Und da braucht es manchmal die größere Geste, manchmal abstraktere Bilder. Ich halte wenig von einem Theater, das versucht, den Film nachzuahmen.

Orientieren Sie sich an anderen Opernarbeiten und -regisseuren?

Im direkten Sinne nicht. Ich suche nach einer heutigen Form von Erzählung, ohne die Geschichte zu zerstören. Ich bin nicht der Regieakrobat, der von außen etwas völlig Fremdes draufsetzt. Man läuft dann Gefahr, nur noch etwas für Fachleute zu machen. Ich will aber, dass man ins Theater geht und die Geschichte verstehen und sich mitreißen lassen kann.

Wie gehen Sie mit dem Jenseits-Spektakel am Ende um?

Ich werde mich vor der Höllenfahrt nicht drücken. Die Musik ist an dieser Stelle so überirdisch, dass ich sie nicht simplifizieren werde. Ich finde, dass Metaphysik hier eine Rolle spielen darf. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir uns nicht erklären können. Man kann das Schicksal nennen, aber auch Schuld. Don Giovanni trägt eine Schuld mit sich herum, irgendwann fällt sie ihm auf die Füße. Die Musik hat an dieser Stelle etwas Bodenloses, Atemberaubendes: Wenn ich das höre, treibt es mir die Tränen in die Augen. Bei mir steigt aber kein Steinmann vom Sockel. Es ist ja eigentlich ein Toter, der da wiederkommt. Das ist merkwürdig genug. Bei Don Giovanni ist nicht wichtig, wie er verschwindet. Das Entscheidende ist, dass er fehlt. Plötzlich fehlt die Reibung, ist das Licht fahl.

Fühlen Sie sich durch die Musik eingeschränkt?

Ich habe nicht so gefremdelt, wie ich dachte. Es gibt Stellen, da finde ich sogar, dass nur die Musik spielen darf. An anderen muss man sich reiben können, die Figuren in ihrer Widersprüchlichkeit öffnen. Es gibt wenig, was sich für mich dramaturgisch nicht erschließt. Doch wenn man versucht, sich mit Mozart anzulegen, zieht man meist den Kürzeren.

Legen Sie sich denn an?

Es gibt eine Stelle, wo ich auch mit dem Libretto hadere. Wenn ich im Film oder in einem Theaterstück eine Stelle redundant finde, schneide ich sie raus oder streiche sie. Das kann ich in der Oper nicht. Das frustriert mich, etwa beim Sextett im zweiten Akt, das ich dramaturgisch nicht schlüssig finde. Aber musikalisch ist es grandios. Insofern: Scheiß drauf.

Das Gespräch führte René Zipperlen.

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