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Kommt ohne die legendäre Deerstalker-Mütze aus: Ian McKellen als Sherlock Holmes.

© FotoAgatha A. Nitecka / See-Saw Films

"Mr. Holmes" auf der Berlinale: Old Sherlock

Ian McKellen als Meisterdetektiv: In „Mr. Holmes“ nimmt die größte Spürnase der Welt noch einmal die Ermittlungen auf - mit 93 Jahren.

Superhelden sind unsterblich. Sie können auch nicht altern. So ist Sherlock Holmes, der größte Detektiv der Welt, zum ewigen Leben verdammt. „Killed Holmes“, lautet der berühmte Tagebucheintrag von Arthur Conan Doyle, der sich 1893 in der Kurzgeschichte „Das letzte Problem“ seiner Figur entledigt hatte – indem er sie in die Schweizer Reichenbachfälle stürzen ließ, den ebenso genialischen Widersacher Dr. Moriarty mit sich reißend.

Aber die Proteste der Holmes-Fans waren so groß, dass Doyle zehn Jahre später seine ihm inzwischen verhasste Schöpfung wiederauferstehen lassen musste. Nach Doyles Tod übernahmen andere Schriftsteller die Aufgabe, die Detektivgeschichten fortzuschreiben. Holmes haben wir uns als für immer Um-die-40-Jährigen vorzustellen, der in der Londoner Baker Street 221b am knisternden Kamin sitzt und dabei schmauchend ein „Zwei-“ oder „Drei-Pfeifen-Problem“ löst.

Sherlock Holmes zwischen Pferdekutschen und Gaslaternen

Falsch. Alles Legende. In Bill Condons „Mr. Holmes“, der im Wettbewerb außer Konkurrenz läuft, ist der Superdetektiv 93 Jahre alt und lebt zurückgezogen in einem Landhaus in Sussex. Wir befinden uns im Jahr 1947, es gibt stromlinienförmige Autos, keine Spur mehr von der viktorianischen Pferdekutschen- und Gaslaternen-Atmosphäre früherer Verfilmungen. „Mr. Holmes“, der einem Roman des amerikanischen Schriftstellers Mitch Cullin folgt, ist ein Sequel der Holmes-Saga, so, wie die erfolgreiche Romanserie „Young Sherlock“ deren Prequel ist.

„Die Deerstalker-Mütze und die Pfeife, das sind alles nur Ausschmückungen der Illustratoren“, sagt Ian McKellen als Sherlock Holmes, und so, wie er o-beinig am Stock geht und die Faltenlandschaft seines Gesichts in immer neue Formationen bringt, nimmt man ihm die Rolle des alten, altersschwach werdenden Meisterdenkers sofort ab. Holmes bevorzugte in Wahrheit Zigarren, auch die Adresse Baker Street 221b war falsch. Regisseur Condon, der sich bereits mit seinen Filmen „Gods and Monsters“ über einen Frankenstein-Regisseur, „Kinsey“ sowie „Dreamgirls“ über die Supremes als Biopic-Spezialist erwies, geht es um eine sanfte Dekonstruktion des Sherlock-Mythos.

Ian McKellen verliert als Holmes sein Gedächtnis

Holmes ist dabei, sein Gedächtnis zu verlieren. Dem Mann, der aus Beobachtungen mittels seiner „Deduktionen“ ganze Kriminalfälle zu enträtseln wusste, entgleitet die Wirklichkeit. Die Namen der Menschen, mit denen er spricht, schreibt er vorher auf seine Manschetten. Seine Lupe braucht er nun zum Lesen, nicht zum Untersuchen von Spuren. Gerade ist er aus Japan zurückgekehrt, wo er sich „Hire Sansito“ besorgt hat, ein Mittel, das angeblich gegen Senilität hilft. Gefunden hat er es ausgerechnet in den ausgebrannten Ruinen von Hiroshima, eine beklemmende Szene. „Ich bin ins Exil gegangen, um mich zu bestrafen“, weiß er noch. „Aber warum? Ich kann mich nicht erinnern.“

Es geht um einen 35 Jahre zurückliegenden Fall, seinen letzten, mit dem er noch immer nicht abgeschlossen hat. Deshalb schreibt Holmes ihn auf, in Fortsetzungen, so weit, wie die Erinnerung reicht. Er will die heroische Version korrigieren, die Dr. Watson zu Papier brachte, sein inzwischen verstorbener Eckermann.

Verglichen mit den klassischen Sherlock-Holmes-Geschichten ist der „Fall Munro“ ziemlich läppisch. Er handelt von einem besorgten Ehemann, einem Parfüm, das Bienen anlockt, und einer Glasharmonika, mit der sich in der schwarzen Magie Tote herbeirufen lassen. Entscheidend aber ist, dass der Detektiv am Ende der Ermittlungen mit seinen eigenen Gefühlen konfrontiert wurde. Eine Frau hatte ihm angeboten, die Einsamkeit künftig mit ihm zu teilen.

Laura Linney gibt die Haushälterin

„Mr. Holmes“ macht aus dem Kopfwesen, das seine Fälle mit kalter Logik löst und dabei einer Maschine gleicht, einen Menschen aus Fleisch und Blut. Mit 93 Jahren ist er nun zu Einfühlung und Empathie fähig, besonders gegenüber seiner manchmal harschen Haushälterin (Laura Linney) und ihrem Sohn Roger (Milo Parker), den er in die Geheimnisse der Bienenhaltung einweiht. Action wie in den Kinofilmen mit Robert Downey jr. und der BBC-Serie mit Benedict Cumberbatch hat „Mr. Holmes“ nicht zu bieten. „Auf Fakten kommt es an. Fiktion ist wertlos“, sagt Sherlock Holmes. Falsch. Gute Fiktion, beweist dieser wunderbare Spin-off des Klassikers, ist ziemlich unschlagbar.

9.2., 9.30 und 15 Uhr, 11.2., 18 Uhr, 15.2., 15.30 Uhr (alle Friedrichstadtpalast)

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