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Kultur: Mrs. Nachtigall

Zum Tod der Sopranistin Joan Sutherland

London 1959. Franco Zeffirelli soll Donizettis „Lucia di Lammermoor“ am Covent Garden Opera House inszenieren. Bei Probenbeginn trifft er auf eine stämmige, unvorteilhaft gekleidete, linkische Sopranistin und versteht sofort: Die Hauptarbeit wird darin bestehen, seine Protagonistin locker zu machen. Bei der ersten Berührung durch den Regisseur zuckt sie erschrocken zurück – doch irgendwann erliegt sie seinem Charme, beginnt sich freizuspielen: Die Premiere am 17. Februar bringt den internationalen Durchbruch für Joan Sutherland.

Zu diesem Zeitpunkt gehört die 1926 in der Nähe von Sydney geborene Australierin bereits seit sieben Jahren zum Ensemble des Londoner Opernhauses, hat sich dort von Aida bis Agathe quer durchs Repertoire gesungen – und ist von dem Dirigenten Richard Bonygne davor gerettet worden, wegen ihrer walkürenhaften Erscheinung ins dramatische Fach abgeschoben zu werden. Bonygne, ebenfalls Australier und ein leidenschaftlicher Fan des damals wenig geschätzten Belcanto, erkennt, dass Sutherlands Sopran die idealen Anlagen hat, um an die Tradition der großen italienischen Primadonnen anzuknüpfen. Systematisch treibt er ihre Stimme in die Höhe und ermuntert sie gleichzeitig, auch schwierigste Koloraturpassagen mit voller Klangfülle auszusingen.

Diese Kombination aus Agilität und Attacke macht Joan Sutherland zu einer weltweit gefeierten Primadonna – und zur Nachfolgerin von Maria Callas im Belcanto-Fach. Luciano Pavarotti, den Sutherland am Anfang seiner Karriere sehr unterstützt hatte, nennt sie „die Stimme dieses Jahrhunderts“. Die Callas- Fans dagegen lassen keine Gelegenheit aus, das glühende Feuer ihres Idols, die vokale Durchschlagskraft und darstellerische Intensität der Griechin gegen Sutherlands weiches Timbre, ihre stets leicht elegisch eingefärbte Kunstfertigkeit auszuspielen. Hier die rasende Tragödin, dort die betörende Nachtigall – jeder Vergleich zwischen den Diven bleibt ungerecht. Wenn Joan Sutherland vor allem danach strebte, die Melodien in größtmöglicher Schönheit erblühen zu lassen, so mag dass auch daran gelegen haben, dass sie selber von der Natur so wenig begünstigt war.

Lange noch jedenfalls werden ihre Verdienste um die Erweiterung des Kernrepertoires nachwirken. Zusammen mit Richard Bonygne, den sie 1954 geheiratet hatte, durchforstet sie das italienische und französische 19. Jahrhundert, holt Leonis „L’Oracolo“ oder auch „Le Roi de Lahore“ und „Esclarmonde“ von Jules Massenet ins Bewusstsein der Opern-Aficionados zurück. Bis zu ihrem Rückzug von der Bühne 1990 bringt sie 80 Schallplatten heraus.

Im Alter von 83 Jahren ist Joan Sutherland, seit 1979 „Dame of the British Empire“, jetzt nach langer Krankheit in Genf gestorben. Frederik Hanssen

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