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Kultur: Mückenstiche und Dissonanzen

fürchtet sich vor Freiluft-Opern Es bleibt dabei: Die Idee, in Deutschland Opern unter freiem Himmel zu spielen, ist die größte Fehlentwicklung des ganzen Musiktheaterbetriebs. In Italien und Südfrankreich mag das ja noch angehen.

fürchtet sich vor Freiluft-Opern Es bleibt dabei: Die Idee, in Deutschland Opern unter freiem Himmel zu spielen, ist die größte Fehlentwicklung des ganzen Musiktheaterbetriebs. In Italien und Südfrankreich mag das ja noch angehen. Denn erstens haben die römische Amphitheater für Stücke wie „Norma“ oder „Aida“ hohen Kulissen-Eigenwert, zweitens ist die Akustik dort erstaunlich gut und drittens das Wetter meist verlässlich – auch wenn etwa der berühmte, immer wieder von Donnergroll durchbrochene „Tristan“-Mitschnitt aus Orange mit Birgit Nilsson und Jon Vickers beweist, dass man nicht einmal dort vor der Natur in Sicherheit ist. Aber hier?

In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern bedeutet Open-Air-Oper vor allem Qual: An feuchtkalten Seeufern auf quälend unbequemen Plastikstühlchen ausharren, hilflos den Mücken preisgegeben, hört man über mehr oder weniger zuverlässige Lautsprecheranlagen die Sänger gegen die sinkenden Abendtemperaturen ankämpfen. Und spätestens nach einer halben Stunde ist die Intonation des Orchesters zum Teufel. Na super! Und das alles, um die Königin der Nacht und Cavaradossis „E lucevan le stelle“ mal unterm Sternenhimmel zu hören. Da muss man schon ein echter Enthusiast sein – oder besonders leidenswillig.

Umso erfreulicher, dass die Rheinsberger Opernfestspiele, Berlins mittlerweile schon traditionelles Sommer-Opern-Ausflugsziel, auch Opern für regen- und kältescheue Menschen im Programm haben. Die beiden aktuellen Produktionen jedenfalls finden in sicheren vier Wänden statt: Die kleiner dimensionierte szenische Aufführung von Barockkantaten unter der Leitung von Claudia Eder in der St. Laurentius-Kirche (wieder am Dienstag und Freitag bis Sonntag), Telemanns Der geduldige Sokrates , die erste der beiden großen szenischen Premieren, ab Freitag im wiederaufgebauten Schlosstheater . Von Regisseur Eike Gramss , der in Berlin mit einer kreuzbiederen „Madame Butterfly“ an der Lindenoper bekannt wurde, ist zwar nicht unbedingt spannendes Musiktheater zu erwarten, aber das Stück ist ein Hit. Denn Telemann ist vielleicht der witzigste deutsche Komponist überhaupt (zugegeben, die Konkurrenz ist in diesem Feld nicht groß), und hatte ausgiebig Gelegenheit, bei der Charakterisierung von Sokrates und Xanthippe aus persönlichen Erfahrungen zu schöpfen. Denn seine zweite Ehe verlief den Quellen zufolge auch nicht gerade glücklich: Frau Telemann brannte mit einem schwedischen Offizier durch und hinterließ ihrem Gemahl einen Haufen Schulden.

Und weil Wolfgang Katschner , der Chef der Berliner Lautten Compagney, als musikalischer Leiter fungiert, bekommen die in Rheinsberg geförderten Nachwuchssänger auch gleich einen Grundkurs in historischer Aufführungspraxis. Und nach der Oper gibt es nichts schöneres als einen Spaziergang am See. Ganz ohne Musik.

Jörg Königsdorf

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