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Kultur: Mühle auf

Staatsoper ehrt Cage: Start des Infektion-Festivals.

Vorm Schillertheater steht Klaus Schreiber mit eingefrorener, zum Schlag aufs Tamtam ausholender Geste – doch nicht mit einem Gongschlag wird das Festival „Infektion“ der Staatsoper zum 100. Geburtstag von John Cage eröffnet, sondern mit „4’33“, der berühmten „Schweigesonate“. Statt der üblichen Stille liefert hier der vorbeirauschende Verkehr die Musik. Auch der 10. Klangwechsel des Orgelstücks „ASLSP“ („as slow as possible“) – ein Vorgang fast so selten wie eine Sonnenfinsternis, da erst im übernächsten Oktober und dann nach sieben Jahren wieder zu erleben – geht bei der Übertragung aus der Burchardi-Kirche in Halberstadt im Publikumsgemurmel unter.

Doch wer hier vom Übergang des Alltags in die Kunst nichts gemerkt hat, dem kann auch später noch geholfen werden. Die erste Ausgabe der „Songbooks“ (weitere Fassungen am 8., 11., 13. und 14. Juli) geht mit dem Material des Meisters recht frei um, überlässt den Sängern Zeitpunkt und Auswahl ihrer Performance, bezieht das ganze Produktionsteam auf vergnüglichste Weise mit ein. Und damit auch jede Menge den Klang bereichernde Alltagsgeräusche. Während die Dramaturgen lautstark „Mensch ärgere Dich nicht“ spielen, sitzen Intendant Jürgen Flimm und Achim Freyer bei einer kniffligen „Mühle-Partie“, bekritzeln Zettel mit Cage-Essentials, die Gert Hegemann als „Video-Philosoph“ vom Monitor verkündet: Nicht, Vielleicht, Leicht, Fisch, Freiheit ohne Grenzen. Außer Flimm gehören Beate Baron, Sandra Leupold, Isabel Ostermann zu den Regieköchen, die diesmal so gar nicht den Brei verderben.

Was für Stimmen – die überall ihre Opernpraxis durchschimmern lassen! Michael Rapke zeigt einen schönen Bariton auf Rollschuhen. Lena Haselmann, Hanna Dora Sturludottir und Annika Schlicht bieten eine atemberaubende „Büroszene“ mit rhythmisch klappernden Schreibmaschinen, werden durch Jennifer Riedels goldglänzenden Auftritt als hysterisch gurgelnde „Königin der Nacht“ zu stimmgewaltigen „Drei Damen“. Derweil kocht Esther Lee sopranzwitschernd und mit heftigen Schneide- und Klopfgeräuschen ein Asia-Menü, dessen Düfte die Werkstatt erfüllen. Nach diesem „Abendmahl“ fließen Kunst und Leben weiter zusammen, wenn die ganze Truppe zu Kriegstänzen der Shaolin- Mönche antritt. Isabel Herzfeld

Mehr Cage bei „Infektion“: Operngeschichte auf ganz neue Weise erleben mit „Europeras 3 & 4“ (10., 11. und 12. Juli); „Lectures about Nothing“ (7. Juli); Reinhild Hoffmanns „Solo mit Sofa“ (7. und 15.7.).

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