zum Hauptinhalt

Kultur: Müllers Mühen

Weihespiel mit Starbesetzung: „Der Auftrag“ von und für Heiner Müller im Haus der Berliner Festspiele

Das braucht die Hauptstadt: eine freie Initiative mit potenten Sponsoren und Koproduzenten (u. a. der Hauptstadtkulturfonds, die Wiener Festwochen, der ZDF-Theaterkanal/Arte) und ein rappelvolles Festspielhaus. Alle „Auftrags“-Aufführungen sind ausverkauft. Das hat es lange nicht gegeben!

Doch das braucht nun leider wirklich keiner: superteuren, weihevollen Jubiläumskitsch zu Ehren und im Namen Heiner Müllers, der am 9. Januar 75 Jahre alt geworden wäre. „Der Auftrag“, von Ulrich Mühe arrangiert mit prominenter Besetzung: ein Rest-Spiel, das traurig macht. Und wütend.

Müllers Tod vor acht Jahren riss eine gewaltige Lücke. Der Mann mit der Zigarre, dem Whiskyglas und der schweren Brille vor dem fragilen Gesicht war ein Gravitationszentrum. Was Bob Dylan zum Tod von Johnny Cash schrieb, gilt ohne Einschränkung für Heiner Müller: „Johnny war und ist der Polarstern, du konntest deinen Kurs nach ihm bestimmen.“

So viele kamen nach Müllers Ende vom Kurs ab. Auch Ulrich Mühe, der Müller gesprochen hat wie sonst niemand. Tonlos, messerscharf, skeptisch-erhaben. Wer ihn in Müllers eigenen Inszenierungen erlebt hat, vergisst es nie – diese Intelligenz, diese Präsenz. Nun fühlte sich der Schauspieler, den man nicht mehr in großen Theaterrollen sieht, verpflichtet und bemüßigt, der Vaterfigur eine Inszenierung zu widmen. Mühes Regie-Debüt: was für ein Missverständnis!

Drei Männer wollen die Französische Revolution auf die Sklaveninsel Jamaica exportieren. Bis sie ankommen, regiert in Europa schon wieder Napoleon, der Kaiser. Rette sich wer kann. Einer kommt durch: der Verräter. „Der Auftrag“ (nach einem Text von Anna Seghers) stammt aus den späten Siebzigerjahren. Einerseits Bankrotterklärung der revolutionären (sozialistischen) Ideen im alten Europa, andererseits die Prophezeiung kommender Kriege zwischen der Ersten und der Dritten Welt. Dabei auch: persönliches Dokument einer kaputten Geilheit aus dem Geist des Büchnerschen Danton. Wie viele nackte Brüste, Schenkel, Schamlippen prunken pathetisch in diesem Stück! Wie alt und modisch vergangen das klingt!

Theater aber lebt zumeist von alten Texten. Es ist das große Unvermögen dieser „Auftrags“-Produktion, dass sie Müller nur peinlich zelebriert. Mühe und seine Stars segeln in einer Zeitmaschine in eine Vergangenheit, die es nie gab. Mag sein, dass die Siebziger und Achtziger schlimm waren mit ihren politischen Illusionen in den wohl behüteten Widerstandsnestern in Ost und West. Mag sein, dass das Theater von damals jetzt lächerlich erscheint. Dämlich war es nicht. Es hatte starke Protagonisten. Es hatte was zu sagen, und wenn es das Falsche war.

Das Elend im Berliner Festspielhaus beginnt mit der Bühne von Erich Wonder. Heiner Müller hat mit ihm mehrfach zusammengearbeitet, auch bei seiner „Auftrags“-Inszenierung 1982 in Bochum. Wonders Bühnenbilder sind begehbare Kunstwerke: Hier muss man aufpassen, dass man nicht stolpert. Eine gefrorene Landschaft mit Hintertüren und gewellten Trümmern, die schauerlich wackeln, wenn ein Schauspieler in ihre Nähe kommt. Fürchterlich auch die Kostüme von Michaela Bürger: dieses Leder-Brustpanzer-Arbeiteroverall-Pathos bei den Männern, diese ausladenden Zwangsjackenkleider bei den Frauen. Herumstehen, Deklamieren und dann umständlich Abtreten. Viel mehr Regie ist nicht.

Einmal herrscht Stille, Konzentration: Wenn Udo Samel (er sieht hier irgendwie aus wie Hitler?) sich hinsetzt und den Monolog des „Mannes im Fahrstuhl“ spricht. Und wenn Inge Keller, die 80-jährige Königin vom Deutschen Theater, als erotische Todessehnsucht erscheint. Das Revolutions-Trio trampelt auf Text und Nerven herum: Ekkehard Schall, das alte Brecht-Schlachtross, als rüpelnder Galloudec, Florian Lukas als der schwarze Sasportas (aufmüpfig, keineswegs aufständisch) und Herbert Knaup als Debuisson – zum Müllerschen erotomanischen Zyniker und Verräter fehlt ihm absolut die Statur.

Seltsam: Christiane Paul kommt Heiner Müller mit ihrer charmanten Unbedarftheit näher als die krachledernen Theaterprofis. Der Filmstar in seiner ersten Theaterrolle ist: der Engel der Verzweiflung. Sie steht, einsam und leicht verwackelt, am Anfang und am Ende der zwei dunklen Stunden, die kein Engel, kein Teufel retten kann.

Rüdiger Schaper

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false