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Werke von Max Liebermann, Henri de Toulouse-Lautrec, Edvard Munch und anderen aus dem Schwabinger Kunstfund.

© picture alliance / dpa

Münchner Kunstfund: Deal im Fall Gurlitt

Der Sohn des NS-Kunsthändlers bekommt seine Bilder zurück – und die Taskforce hat ein Jahr Zeit, die Herkunft jener Werke zu erforschen, die unter Raubkunst-Verdacht stehen.

Hat das Tauziehen ein Ende oder beginnt es jetzt erst? Zumindest in einer Angelegenheit, der wichtigsten, ist ein Durchbruch nach dem „Schwabinger Kunstfund“ gelungen. Bundesregierung und Bayerisches Justizministerium auf der einen Seite und Cornelius Gurlitt mit seinem Betreuer, Rechtsanwalt Christoph Edel, auf der anderen haben eine Vereinbarung getroffen: Die Anfang 2012 beschlagnahmten Bilder gehen an den Sammler zurück, wie der es von Anfang an gefordert hatte. Im Gegenzug erklärt dieser sich bereit, eine Fortsetzung der Provenienzrecherche auf freiwilliger Basis zu ermöglichen.

Damit hat sich die Ausgangslage endgültig zugunsten von Cornelius Gurlitt gewandelt, der den von seinem Vater, dem NS-Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, übernommenen Bilderschatz seit jeher als sein Eigen ansah. Ansprüche auf Restitution waren ohnehin nach 30 Jahren verjährt. Die jetzige Einigung beruht damit in wesentlichen Teilen auf dem good will des Erben. Sie zeigt aber auch, dass Gurlitt junior spätestens seit den heftigen Reaktionen nicht zuletzt im Ausland weiß: Bei der Übernahme des väterlichen Nachlasses ging nicht alles mit rechten Dingen zu. Gurlitt kommt dem Bund insofern entgegen, als er die seit Ende 2013 eingesetzte Taskforce weiterhin ihre Forschungen machen lässt: bei solchen Werken, die unter dem Verdacht stehen, Raubkunst zu sein, die also von den Nationalsozialisten gestohlen oder abgepresst oder als „entartete Kunst“ den Besitzern weggenommen wurden. Dies soll bei rund 500 der insgesamt 1280 konfiszierten Bildern der Fall sein. Sie verbleiben beim Bund in Gewahrsam und auf der website „lostart“ eingestellt, alle anderen Werke gehen sofort an Gurlitt zurück.

Und noch ein Punkt der gestern veröffentlichten Vereinbarung zwischen Sammler und Staat macht deutlich, auf welch dünnem Eis sich die Augsburger Staatsanwaltschaft mit ihrem Zugriff vor bald zwei Jahren in der Privatwohnung des heute 81-Jährigen bewegte: Die Taskforce verpflichtet sich, innerhalb eines Jahres ihre Untersuchungen zum Abschluss zu bringen, andernfalls gehen die inkriminierten Werke an Gurlitt zurück, der sie jedoch weiterhin zugänglich hält. Wäre der Fall Gurlitt nicht im vergangenen November durch die Medien an die Öffentlichkeit gelangt, so würde bis heute eine einzige Kunsthistorikern recherchieren – vermutlich jahrelang. Umso mehr versteht es sich, dass Gurlitt einen Wissenschaftler seiner Wahl in die Taskforce entsendet, um seine Interessen zu wahren.

Mit der nun veröffentlichten Vereinbarung bekennt sich Gurlitt als Privatperson und damit freiwillig zu den Washingtoner Prinzipien und verspricht, möglichen Erben gegenüber Fairness walten zu lassen. Dass dies nicht ganz einfach werden dürfte, erwies sich ebenfalls am gestrigen Tag. Eigentlich stand das prominenteste Werk der Sammlung, die „Sitzende Frau“ von Henri Matisse, kurz vor einer Rückgabe an die Enkelinnen des jüdischen Kunsthändlers Paul Rosenberg, an Marianne Rosenberg und Anne Sinclair. Da meldete sich im letzten Moment ein weiterer Anspruchsteller. Gurlitt-Anwalt Christoph Edel stoppte daraufhin die für diese Woche geplante Transaktion und erklärte, die nun von anderer Seite aufgetauchten Forderungen erst einmal prüfen zu müssen.

Der Matisse gibt nicht nur durch den prominenten Namen des Malers und sein zwischenzeitliches Auftauchen in der Sammlung von NS-Größe Hermann Göring, der sich das Bild für sein bei Berlin gelegenes Privatmuseum „Carinhall“ reservieren ließ, ein Paradebeispiel für die unseligen Verstrickungen in der Causa Gurlitt ab. Die Restitutionsforderungen von zwei Seiten zeigen, wie kompliziert die Gemengelage ist, wie genau sich alle Beteiligten abzusichern haben.

Wie weit die Verhandlungen mit anderen Anspruchstellern stehen – bisher sollen sich sechs Nachfahren gemeldet haben für insgesamt 17 Werke, darunter Bilder von Spitzweg, Otto Dix und Liebermann –, ist nicht bekannt. So einmalig der Fall Gurlitt scheint, an ihm lässt sich studieren, dass sich auch Jahrzehnte nach begangenem Unrecht versuchsweise etwas gutmachen lässt, dass verhärtete Einstellungen neuen Erkenntnissen weichen können. So erklärte Gurlitts Anwalt Christoph Edel zu der getroffenen Vereinbarung: „Er (C.G.) nimmt damit auf vorbildliche Weise moralische Verantwortung wahr und gibt damit ein gutes Beispiel...“. Das Selbstlob weckt freilich neues Unbehagen.

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