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1992dokumentierte das Alte Museum in Berlin "Das Schicksal der Avantgarde in Nazi-Deutschland" und zeigte Porträts der als "entartet" verfemten Künstler.

© picture-alliance / ZB

Münchner Sensationsfunds: Die Händler des Unrechts

Jetzt ist die Überraschung groß: Hildebrand Gurlitt, einst Besitzer des Münchner Sensationsfunds, war einer von vier Männern, die für das NS-Regime mit „entarteter“ Kunst dealten. Wer waren die drei anderen?

Mit dem Sensationsfund in der Schwabinger Etagenwohnung von Cornelius Gurlitt, dem Sohn des 1956 gestorbenen Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, ist eine alte Wunde wieder aufgebrochen. Im Scheinwerferlicht steht dabei vor allem der deutsche Kunsthandel, der ab 1933 und erneut 1945 heftig durchgeschüttelt wurde, gleichwohl in erstaunlicher Kontinuität seine Geschäfte betrieb. Dass die Nazis Kunst beschlagnahmt, geraubt, gesammelt oder aber verschleudert und vernichtet haben, ist bekannt. Dass die Untaten jedoch nicht ohne den Kunsthandel vonstatten gingen, hat dieses auf Diskretion bedachte Gewerbe stets auszublenden vermocht. Nun aber stehen mit dem Gurlitt-Fund 1406 in der NS-Zeit zusammengetragene Kunstwerke im Fokus. Welche Rolle spielte der Senior, Hildebrand Gurlitt?

Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin hatte das NS-Regime noch Weltoffenheit demonstriert. Bald darauf wurde sie ins Gegenteil verkehrt und der Hass der „Völkischen“ auf die Moderne in all ihren Formen bedient. Propagandaminister Joseph Goebbels, der starke Mann der von Kompetenzgerangel geprägten NS-Kulturpolitik, ordnete per Erlass vom 30. Juni 1937 an, „die im deutschen Reichs-, Länder- und Kommunalbesitz befindlichen Werke deutscher Verfallskunst seit 1910 auf dem Gebiet der Malerei und der Bildhauerei zum Zwecke einer Ausstellung auszuwählen und sicherzustellen“.

Auf die „Sicherstellung“ zu Zwecken der Propagandaschau „Entartete Kunst“, bei der parallel zur „Großdeutschen Kunstausstellung“ in München etwa 650 beschlagnahmte Werke gezeigt wurden, folgte einen Monat später die systematische Durchsuchung aller Museumsbestände. Die Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der Freien Universität, deren Projektleiterin Meike Hoffmann nun als Expertin für das Gurlitt-Konvolut ins Rampenlicht gerückt ist, schätzt die Zahl der dabei beschlagnahmten Werke auf bis zu 21 000. Die Listen des Ko-Organisators der Aktion „Entartete Kunst“, Rolf Hetsch, verzeichnen 16 558 Nummern. Deren Mehrzahl bestand aus grafischen Blättern, die stets den numerischen Hauptanteil einer musealen Sammlung ausmachen.

"Wir hoffen, noch Geld mit dem Mist zu verdienen", notierte Goebbels

Schließlich kam es, wiederum auf Betreiben des Scharfmachers Goebbels – der anders als der eher bedächtige Reichsminister Rust formalrechtlich gar nicht zuständig war – Ende Mai 1938 zum „Gesetz über die Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“, mit dem die Beschlagnahmung in eine Enteignung umgewandelt wurde. Es ging nun nur noch um die „Verwertung“ der Beute. Zufrieden notierte Goebbels: „Wir hoffen, dabei noch Geld mit dem Mist zu verdienen.“

Das war jedoch nicht einfach. Selbst die einmalige, für ausländische Interessenten angesetzte Auktion von ausgewählten Werken im schweizerischen Luzern am 30. Juni 1939 wurde kein großer Erfolg. Ein Drittel der Lose ging zurück. Viel wichtiger war, was innerhalb der deutschen Grenzen geschah: Durch Verkauf und Tausch gingen die verfemten, aber zugleich als potenzielle Devisenbringer erachteten Kunstwerke überwiegend an vier deutsche Kunsthändler. Bernhard A. Böhmer, Karl Buchholz, Hildebrand Gurlitt sowie Ferdinand Möller wurden vom Propagandaministerium mit der „Verwertung“ beauftragt, gegen eine Provision zwischen fünf und 25 Prozent, in Reichsmark.

Entgegen der reinen NS- Lehre verblieb etliches im Lande bei deutschen Privatsammlern – eine offiziell verbotene, jedoch nicht unterbundene Praxis, bei der die Händler in Einzelfällen exorbitante Gewinne einstrichen. Sammler wie der Kölner Rechtsanwalt Josef Haubrich oder der Hannoveraner Fabrikant Bernhard Sprengel, die ihren Vaterstädten nach dem Krieg mit der Schenkungen zu herausragenden Kollektionen moderner Kunst verhalfen, kauften die verfemte Ware. Von der Gestapo argwöhnisch beobachtet, konnten sie dies gleichwohl ungehindert tun – ohne konkurrierende Interessenten seitens der Museen. Erst Ende 1939 wurde Moeller vom Goebbels-Ministerium ermahnt: Es handele sich „um Produkte der ,Verfallskunst’“, also sei jeder Anschein einer „positiven Wertung im Inlande durch Ausstellung etc. streng zu vermeiden“. Bei Ausländsverkäufen sei lediglich das kommerzielle Interesse maßgebend.

Über drei der privilegierten Händler aus dem Quartett liegen Veröffentlichungen vor

Der Markt für die Moderne brach also keineswegs so vollständig zusammen, wie es die Schicksale der zahlreichen jüdischen, in Bankrott und Emigration gezwungenen Händlerkollegen nahelegen. Gesa Jeuthe erläutert in dem von der Forschungsstelle herausgegebenen Band „Über das Handeln und Sammeln von Kunst im Nationalsozialismus“, das „unklare, ambivalente und taktierende Verhalten“ der NS-Führung habe dazu beigetragen, dass die Nachfrage nach Nolde oder Liebermann „selbst nach 1937 nicht abbrach“. Zwar unterschied die Rassenideologie der Nazis auch bei der verhassten Moderne nach „arisch-nordisch“ oder „jüdisch-bolschewistisch“, doch der Geldhunger behielt die Oberhand. Das stets zitierte „Malverbot“ für Emil Nolde erging erst während des Krieges und blieb ein besonderer Fall. Selbst der wegen seiner Anti-Kriegsbilder verfolgte Otto Dix konnte weiterhin arbeiten, nachdem er sich an den Bodensee zurückgezogen und der Landschaftsmalerei zugewandt hatte.

Über drei der Händler aus dem privilegierten Quartett liegen mittlerweile ausführliche Veröffentlichungen vor. Allein Hildebrand Gurlitt fehlt hier: weil seine Geschäftspapiere, wie seine Witwe noch 1960 behauptete, im Dresdner Feuersturm des Februar 1945 verbrannt seien. Das erweist sich nun, da die Kisten mit den Unterlagen beim Sohn sichergestellt wurden, als Zweckbehauptung. Es ist sehr zu hoffen, dass – von der Eigentumsproblematik der Gurlittschen Kunstwerke abgesehen – zumindest diese Unterlagen zügig der Forschung zugänglich gemacht werden.

Ferdinand Möller, der seit 1918 eine Galerie in Berlin betrieb, gilt zu Recht als „Herold der Brücke-Maler“ (Will Grohmann 1956 im Tagesspiegel-Nachruf). Er war der erste Händler, dessen Tätigkeit aufgearbeitet wurde. Eberhard Roters, Gründer der Berlinischen Galerie, verfasste 1984 eine Möller-Monografie: „Im Widerspruch zu den Bedingungen, die ihm die Regierung auferlegt hat, verkauft er nämlich die von ihm erworbenen Werke (...) nicht ins Ausland, sondern den kleineren Teil verkauft er, obwohl ihm das verboten ist, in Deutschland, den größeren Teil behält er selbst.“ Nach dem Krieg gehen zahlreiche expressionistische Werke aus Möllers Bestand an deutsche Museen. So konnte zum Beispiel der „entartete“ Bestand an Feininger-Gemälden dank Möller bald nach dem Krieg zumindest teilweise nach Halle zurückkehren.

Karl Buchholz ist eine schillernde Figur zwischen Anpassung und Widerstand

Anders sieht es bei Böhmer und Buchholz aus, und eben auch bei Gurlitt. Böhmer, ein enger Freund des verfemten Bildhauers Ernst Barlach, auf dessen Anwesen er seine Bestände „entarteter Kunst“ unterbrachte, handelte mit den Agenten des „Führerauftrags Linz“, also des geplanten Museums für Hitler, wie auch des manischen Kunstraffers Göring. Böhmer hinterließ das umfangreichste Konvolut „entarteter Kunst“. Nach Zerstörungen durch sowjetische Soldaten, die die ihnen gleichermaßen suspekten Bilder als Straßenschilder übermalten, befinden sich immerhin noch 613 Katalognummern im Kulturhistorischen Museum Rostock.

Karl Buchholz wiederum ist eine schillernde Figur zwischen Anpassung und Widerstand. Er gründete 1937 eine Zweiggalerie in New York mit dem emigrierten, jüdischen Berliner Mitarbeiter Curt Valentin und zeigte in seiner Erstausstellung Barlach und Lehmbruck. Die Filiale in New York erwies sich als ideal, um verfemte Kunstwerke zu exportieren. Zudem vermittelte Buchholz den Verkauf von 17 Gemälden von Edvard Munch – der als Nicht-Deutscher eigentlich nicht zu den „Entarteten“ gehört hätte – an den Osloer Kunsthändler Halvorsen. Dass der Markt für deutsche Moderne in den USA nicht einfach war, geht aus dem Briefwechsel Valentins mit dem in Berlin tätigen Buchholz hervor. „Der Marc wurde in Los Angeles nicht verkauft... Von Kirchner ist das hier befindliche Bild noch nicht verkauft...Der ,Krieg’ von Dix ist schwierig...“, schrieb er im März 1939. Bald darauf erhielt Buchholz Zugang zu 418 Werken aus dem NSDepot Köpenicker Straße in Kommission.

Ob erworben oder als Kommissionsware erhalten, die Frage wird bei der Ermittlung der Eigentümerschaft an den Gurlitt-Bildern eine Rolle spielen. Hildebrand Gurlitt hat sich darüber nicht ausgelassen. Nach dem Krieg rechtfertigte er seinen persönlichen Pakt mit dem Teufel mit seiner gefährdeten Situation als „Vierteljude“ nach den Nürnberger Rassegesetzen. Unter anderem hatte er für den pompösen Neubau der Reichskanzlei Ankäufe getätigt, noch 1944 erwarb er in Paris Tapisserien für drei Millionen Reichsmark. Andererseits hatte er 1943 den emigrierten und bedrohten Max Beckmann in Amsterdam besucht und von ihm neue Bilder erworben. Ob sich darunter auch der zuletzt vom Sohn zur Auktion gegebene „Löwenbändiger“ – Zuschlag 864 000 Euro – befand, ist derzeit ungeklärt.

Böhmer nahm sich 1945 das Leben; Karl Buchholz starb 91-jährig nach einem bewegten Leben 1992 im kolumbianischen Bogotà. Ferdinand Möller starb als hochangesehener Galerist der Moderne 1956 in Köln. Hildebrand Gurlitt, Jahrgang 1895, verunglückte in Düsseldorf, ebenfalls 1956. Im Jahr zuvor hatte die erste Documenta in Kassel die verfemte Moderne erstmals umfassend in der Bundesrepublik präsentiert. Niemand interessierte sich damals für diejenigen, die eben diese Moderne „verwertet“ hatten.

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