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Kultur: Murren und Gurren

Kopfreisen durch den Kunstbetrieb: Via Lewandowsky und seine Installation „Paeninsula“ im Neuen Berliner Kunstverein

Ja, so könnte man es sehen: der ganze Kunstbetrieb eine vollgeschissene Voliere und die Kunst nichts anderes als ein Vogelschiss. Natürlich sagt der Künstler das nicht rundheraus, schließlich gehört er selbst dazu. „Paeninsula“ nennt Via Lewandowsky seine Installation im Neuen Berliner Kunstverein (NBK), was aus dem Lateinischen übersetzt „Halbinsel“ bedeutet. Auch so ergibt es ein schlüssiges Bild, einen Erlebnisraum. Die beiden mit rotem Tanzboden ausgelegten Ausstellungssäle des NBK bilden dieses Eiland, dessen Geografie aus gigantischen, quietschblauen Vogelhaufen besteht. Sie mäandern sich zu den verschiedenen Stationen, mal einem Vogelbauer, den ein solcher Styroporberg komplett ausfüllt, mal zu einem vom Kotstrom platt gedrückten, leibhaftigen Exemplar. Der Raum wird erfüllt von Taubengeflatter und dem Gurren des Leittiers aus einem altmodischen Megafon. Wäre es nicht so bitterböse, man müsste lachen: So drastisch wird dem Ausstellungsbesucher selten der Spiegel vorgehalten.

Rechnet hier einer mit seiner Liga ab? Vorstellbar wäre es, denn Via Lewandowsky (Jahrgang 1963), das einstige DDR-Wunderkind des frisch wiedervereinten Kunstbetriebs, hätte Grund zum Groll. Vor 17 Jahren hatte der Dresdner seine letzte Einzelausstellung in Berlin, 1991 erhielt er das Senatsstipendium für New York, darauf die Einladung zur Documenta IX, und dann war plötzlich Schluss. Im Westen wollten sie ihn nicht mehr, im Osten war der kurz vor der Wende übergesiedelte Künstler schon vorher out. Erst 1997 habe er sich wieder gefangen, erzählt er im Gespräch. Nicht im Bild, nicht im Film, nicht in der Performance – Medien, mit denen er zuvor gearbeitet hat – sondern im Raum.

Lewandowsky gehört zu den wichtigsten Installationskünstlern der letzten Zeit. Seine Gemeinschaftsausstellung mit dem Dichter Durs Grünbein 2000 im Dresdner Hygienemuseum unter dem Titel „Kosmos im Kopf: Gehirn und Denken“ sorgte für Furore. So hatte noch keiner Kunst und Wissenschaft kurzgeschlossen; Lewandowskys Denkräume wurden aufgenommen wie die lang ersehnte Erfrischung für den Forschergeist. Für 2008 ist im Hygienemuseum eine Fortsetzung geplant, diesmal zum Thema „Glück“.

„Paeninsula“ ist da wie ein Durchgangszimmer im Kopf dieses Reisenden. Auf seinen Expeditionen durch Denkwelten entstehen sogar Möbel wie die verschachtelte „Wandschrank, Schrankwand“ 2005 im Schloss Großleuthen bei der Ausstellung „Rohkunstbau“ oder Doppeldatschen, wie sie im Vorgarten vom Berliner Haus am Waldsee im Rahmen von „Anstoß Berlin“ noch zu sehen sind. Im Frühjahr erschien ein Bildband von Lewandowsky nach einem mehrmonatigen Peking-Aufenthalt. Eigentlich hat der Künstler keinen Grund, sich über den Betrieb zu beschweren. Das Taubengeschrei im Kunstverein klingt trotzdem ganz schön schrill.

NBK, Chausseestr. 128/129, bis 15. 10., Di - Fr 12 - 18 Uhr, Sa/So 14-18 Uhr. Katalog (Verlag Hatje Cantz) 28 Euro. „Neobiota. Fragmente des Missverstehens: Peking“ (Hatje Cantz) 35 Euro.

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