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Vor der großen Seite. Die Boote aus der Südsee vor Anker im Ethnologischen Museum in Dahlem. Jetzt wird der Südsee-Bereich für den Umzug geschlossen.

© SPK

Museen Dahlem: Ein letzter Besuch vor dem Umzug ins Humboldt-Forum

Noch immer dürfen Kinder auf einem der Südseeboote im Ethnologischen Museum spielen. Zeit für einen Abschiedsspaziergang, bevor erste Bereiche geschlossen werden.

In den Dahlemer Museen schließen sich langsam die Türen. Ab dem 11. Januar sind weite Bereiche des Museums für Asiatische Kunst sowie die Ausstellungssäle der Südsee und der nordamerikanischen Indianer nicht mehr zugänglich für Besucher. Andere Teile der Sammlungen, Mesoamerika, Afrika und die Welten der Muslime, schließen erst in einem Jahr. Eine Epoche endet, die Vorbereitungen für den Umzug ins Humboldt-Forum laufen an. Wir betrachten in loser Folge Artefakte, die Dahlem ausmachen – und vor der großen Reise bald aus dem Blickfeld verschwinden.

Weil ich mir nicht ganz sicher bin, frage ich vorsichtshalber nach. Entschuldigung, gab es hier nicht damals, in den frühen achtziger Jahren, ein Boot, auf das man klettern durfte? Darf man immer noch – aber Sie nicht, antwortet der Aufseher im Ethnologischen Museum in Dahlem. Nur für Kinder bis zehn Jahre. Kein Schild weist daraufhin, welches der Südsee-Boote in der großen Halle als Abenteuerspielplatz benutzt werden darf. Die meisten Besucher, besonders die jüngeren, wissen es aber ohnehin. Stammkundschaft.

In meiner Kindheit bin auch ich regelmäßig in Dahlem gewesen. An Winterwochenenden machte mein Vater mit meinem knapp zwei Jahre älteren Bruder und mir Touren durch die West-Berliner Museen. Von allen Ausstellungsstücken, ob im Musikinstrumenten-Museum, dem Museum für Vor- und Frühgeschichte oder im Museum für Verkehr und Technik, sind mir die ozeanischen Boote im Ethnologischen Museum am besten in Erinnerung geblieben. Weil sie nicht hinter Glas versteckt sind, sondern zum Anfassen, Klettern und Spielen einladen.

Und zum Träumen: Man kann sich vorstellen, wie sie die Wellen der Südsee durchschneiden, wie ihre Segel sich aufblähen und die Gischt an Deck spritzt. Auf der Insel West-Berlin war das etwas Besonderes.

Der Umzug erfordert komplizierte Vorbereitungen

Wer die Boote noch so sehen will, wie sie seit Jahrzehnten in Dahlem präsentiert werden, an diesem provisorischen West-Berliner Ort der Sehnsucht und Erinnerung, muss sich beeilen. Nur noch wenige Tage bleiben sie an ihrem angestammten Platz. Eine Zeit geht zu Ende, es ziehen sechs Boote ins Humboldt-Forum nach Mitte um, hinter die Fassaden des wiederaufgebauten Hohenzollernschlosses.

Das heißt: noch nicht sogleich. Der Umzug erfordert komplizierte Vorbereitungen. In gut einer Woche wird die gesamte Südseeabteilung geschlossen. Die großen Artefakte müssen vor der Reise zum Humboldt-Forum zerlegt, gelagert und untersucht werden. Aus den Museumshallen werden Restaurierungswerkstätten, ein anderer Platz ist dafür nicht vorhanden. Die Ausstellungsflächen erinnern in ihrer neuen Funktion an die Inseln, von denen die Boote kamen – als sie nahe dem Strand mit einfachen Werkzeugen gezimmert wurden. Die Boote müssen dann, frisch gereinigt und neu zusammengesetzt, bis 2018 im Humboldt-Forum angekommen sein – weil erst nach ihrem Einzug dort die Wände geschlossen werden können. So ein Südseeboot passt durch keine Tür, kein Tor.

Im Humboldt-Forum werden die Boote anders präsentiert, in den Mittelpunkt der Ausstellung soll das Meer rücken

Obwohl ich jahrelang direkt auf der anderen Straßenseite studiert habe, war ich seit ungefähr 30 Jahren nicht mehr im Ethnologischen Museum. Die Boote stehen aber noch genau so da, wie ich es aus meiner Kindheit in Erinnerung habe: auf einem Teppichpodest mit schrägem Boden, als würden sie eine Welle hinabsurfen. Fünf von ihnen sind Originale, die nicht angefasst werden sollen. Auf dem Nachbau eines doppelrümpfigen Segelboots aus Tonga aber darf man herumklettern. Das Holz des Einmasters hat mit den Jahrzehnten ein paar Kratzer abbekommen, ansonsten scheint es aber unverwüstlich.

Im Humboldt-Forum sollen die Boote ganz anders präsentiert werden, in den Mittelpunkt der Ausstellung soll das Meer rücken – als geschäftiger Verkehrsweg, identitätsstiftender Kommunikationsweg und überlebenswichtiger Nahrungslieferant. In Dahlem sind die Boote vor allen Dingen: Boote. Lediglich kleine Schilder erklären in leicht angestaubter Museumssprache, was das Auge sieht. Zum Beispiel das Fischerboot zum Bonito-Angeln aus Samoa, um 1870 gebaut und „mit Brotfruchtbaumharz kalfatert“. Über das Segelboot aus Luf, Para-Mikronesien, erfährt man, dass es Anfang dieses Jahrhunderts – gemeint ist das Jahr 1904 – nach Berlin überführt wurde. Es ist das letzte seiner Art, „die Bevölkerung von Luf ist um 1940 ausgestorben“. Auf einem kleinen Podest zeigt ein Fernseher – ein altes Röhrenmodell, kein Flatscreen – ein Video über die Bauweise der Boote.

Vor Kurzem war ich im Schifffahrtsmuseum von Amsterdam. Dort wird man in jedem Raum von Multimedia-Spielereien attackiert, lebensgroße Mittelaltermenschen erklären in Video-Projektionen, wie die Niederlande zur Seefahrer-Weltmacht aufstiegen. Auch in Amsterdam darf man auf einem Dreimaster herumlaufen und per Knopfdruck virtuelle Kanonenschüsse abfeuern. Das ist spektakulär, lässt aber wenig Raum für die eigene Fantasie.

Das Holz der Boote in Dahlem scheint im Halbdunkel des großen Raums regelrecht zu leuchten. Die Kinder, die gerade das Modell aus Tonga erklimmen, machen keinen Lärm und scheinen regelrecht versunken. Wahrscheinlich träumen sie gerade davon, die Leinen loszumachen und nach Samoa überzusetzen.

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