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Kultur: Museum Europäischer Kulturen: Kurbeln!

Skeptisch schaut der Junge in die Kamera. Ob er diesen merkwürdigen Apparat zum ersten Mal sieht?

Skeptisch schaut der Junge in die Kamera. Ob er diesen merkwürdigen Apparat zum ersten Mal sieht? 1915 war eine Kamera noch etwas Besonderes. Auch für die Passanten im damaligen Sarajewo. Irritiert gucken sie: Was macht der Mann da, der eifrig an der Kurbel dreht?

Der Name des Kameramannes ist vergessen, sein kleines Werk jedoch blieb erhalten. Kurzfilme wie "Sarajewo, die Hauptstadt von Bosnien" waren in den Varietés westeuropäischer Großstädte sehr beliebt - Ausguck in fremd und exotisch erscheinende Länder. Daher bereisten schon um die Jahrhundertwende zahlreiche Kameramänner ganz Europa - und filmten, was ihnen vor die Linse kam.

Viele dieser dokumentarischen Reisefilme lagern in den Archiven der Filminstitute. Ihnen wird aber nur ein geringer ästhetischer Wert beigemessen. Zu Unrecht, wie jetzt das Museum Europäischer Kulturen in Dahlem zeigt - mit der Sonderausstellung "Exotisches Europa - Reisen ins frühe Kino".

Damals wie heute wirken die sechs zwischen 1910 und 1925 gedrehten Kurzfilme wie Blicke in eine fremde Welt - ehemals eine Art Raum-Fenster, heute als Zeit-Fenster: Wie antiquiert erscheint die holländische Käseproduktion fern jeder Maschinen, wie idyllisch der Streifzug durch Santa Lucia vor dem Massentourismus. Überraschend auch: Die Filme sind zumeist in Farbe. Zunächst per Hand, später mit Schablonen, wurden sie mühsam koloriert oder mit einer Tönung eingefärbt.

Durch Digitalisierung können diese Filme wieder gezeigt werden. Finanziert wurde die Restaurierung mit Mitteln der Europäischen Union, initiiert wurde sie von der Berliner Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW). Mit dem Ziel, die leicht entflammbaren und daher schwer zu archivierenden Cellulose-Nitrat-Filme vor der Vernichtung zu bewahren, durchforsteten Wissenschaftler verschiedene Archive nach den Nitro-Filmen. Etwa 100 wurden ausgewählt, restauriert und auf digitale Bildmedien übertragen. Neben den Filmen sind in der Ausstellung auch kinotechnische Geräte zu sehen: alte Projektoren und einige Reisekameras aus den zehner Jahren, die von Studenten der FHTW restauriert wurden. Wer will, darf selbst an einer Kamera kurbeln.

Die Ausstellung betrachtet die alten Nitro-Filme als kulturell wertvoll und damit erhaltenswert. Ihr Bestand ist gefährdet, da einige Archive das gefährliche Material nach der digitalen Kopie vernichten. Aber: Können DVDs die alten Filme ersetzen? Leider sind im Museum keine Originale zu sehen, um diese Frage zu klären - aus Sicherheitsgründen.

Nils Meyer

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