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Weng Naiqiangs „Der Vorsitzende Mao auf dem Tian’anmen-Platz“ in Peking, entstanden 1966, hier in einem Farbabzug von 2017.

© Museum für Fotografie/Weng Naiqiang

Museum für Fotografie in Berlin: Chinas Kulturrevolution bekommt neue Bilder

Nur wenige Propaganda-Aufnahmen drangen bisher in die Welt hinaus. Eine Ausstellung im Berliner Museum für Fotografie bricht nun mit einem Tabu.

Eine Revolution ist kein Deckchensticken, riefen die Anhänger maoistischer Splittergruppen Ende der sechziger Jahre auch hierzulande, mit einem verkürzten Zitat aus der Mao-Bibel. Das klang lustig; der weitere Satz des vollständigen Mao-Spruchs schon weniger: „Die Revolution ist ein Aufstand, ein Gewaltakt, durch den eine Klasse eine andere stürzt.“

Eine Klasse wurde in der Kulturrevolution nicht gestürzt, die China in den Jahren in den Jahren 1966 bis 1969 – mit letzten Ausläufern bis 1976 – erschütterte. Aber an Gewaltakten hat es nicht gemangelt; vorsichtigen Schätzungen zufolge beläuft sich die Zahl der von den Roten Garden verfolgten, gemaßregelten und vielfach auch verbannten Opfer auf dreißig Millionen, die der zu Tode Gekommenen auf anderthalb Millionen.

Die Kulturrevolution, entfesselt vom „Großen Steuermann“ Mao Tse-Tung und aus keinem anderen Grund, als seine schwankend gewordene Macht zu erhalten, ist das Trauma des heutigen China. Man spricht nicht über sie. Ihre Opfer schweigen, und die Kinder der Opfer fragen nicht nach. Sie haben anderes im Sinn, als unter revolutionären Parolen die überkommene Welt kurz und klein zu schlagen. Es sind Künstler, wenige nur, die sich mit der Kulturrevolution auseinandersetzen.

In Zusammenarbeit mit chinesischen Institutionen zeigt nun das Museum für Fotografie der Staatlichen Museen Berlin die Ausstellung „Arbeiten in Geschichte. Zeitgenössische chinesische Fotografie und die Kulturrevolution“. Ihre Bedeutung kann gar nicht überschätzt werden. Denn es ist wohl die erste Auseinandersetzung mit der traumatischen Geschichte, die hierzulande bekannt wird. Dabei teilt sich die Ausstellung in zwei Komplexe: zum einen historische Aufnahmen aus der Hochphase der Revolte, wie sie überhaupt noch nie in dieser Fülle zu sehen waren, und zum anderen die heutige fotokünstlerische Bearbeitung dieser Vergangenheit.

Nur wenige, dafür immer und immer wieder reproduzierte Bilder der Kulturrevolution drangen in die Welt hinaus. Tatsächlich aber ließen die Machthaber überall Kameras laufen und Fotoapparate klicken. Sorgfältig wurden die entstandenen Bilder retuschiert, beschnitten, neu zusammengesetzt, gar mit gemalten Hintergründen versehen. Aus Mao wurde ein altersfreier, strahlender Übervater – nicht des Vaterlandes, sondern seiner Millionenheere der Roten Garden, die ab 1969 vom Militär, der Volksbefreiungsarmee, mühsam eingefangen werden mussten, als die Lage außer Kontrolle geraten war.

Weng Naiqiang (geb. 1936) war als fotografischer Leiter der Zeitschrift „People of China“ einer der privilegiertesten Begleiter der frühen Kulturrevolution; er erbat sich, einige seiner damaligen Farbaufnahmen auf Großformat zu vergrößern, was ihren suggestiven Charakter mit dem dominanten Rot der zahllosen Mao-Bibeln eindrucksvoll verstärkt. Ferner sind nun originale und propagandistisch veränderte Fotografien, wie sie über Agenturen verbreitet wurden, einander gegenübergestellt; Zhang Dali (geboren 1963) arrangiert solche Bildpaare, nach Erst- und Zweitverwendung geordnet, innerhalb eines einzigen Rahmens. Ergänzend werden angegilbte Plakate von damals gezeigt, die in starrer Symmetrie Bild und lange Textzeilen über- oder nebeneinanderstellen.

Nur wenige wagen sich zu erinnern

In der Gegenwart haben sich Shao Yinong und Mu Chen auf die Suche nach alten, nicht mehr benutzten Parteilokalen der KP gemacht, und gleichermaßen hat Qu Yan Parteibüros festgehalten, in denen die Zeit stehen geblieben scheint. Unverändert blicken Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao von der Wand, verkünden Schriftbanner die Losungen der Partei.

Hai Bo ist mit seiner Serie „They“, der Gegenüberstellung historischer Gruppenfotos mit Aufnahmen ihrer noch lebenden Mitglieder, schon früh auf der Biennale von Venedig zu sehen gewesen. Wang Ningde evoziert mit elegischen Schwarz-Weiß-Fotos uniformierter Jugend ein Damals, das es während der Kulturrevolution gerade nicht gab, während Zhang Kechun – mit Jahrgang 1980 der jüngste der Künstler – mit dem bewusst überbelichteten Großformat „Menschen queren den Gelben Fluss mit einem Foto von Mao Zedong“ eine der berühmtesten damaligen Polit-Inszenierungen ins Gedächtnis ruft.

Wang Youshen schließlich ließ im Museum eine große Anzahl von Plastikschalen aufstellen, wie sie zum Wässern belichteter Fotopapiere benutzt werden bzw. wurden; nur dass das Wasser die eingelegten Abzüge nunmehr auflöst und buchstäblich unsichtbar macht. Ein visuell treffenderer Kommentar für die gesellschaftliche Amnesie lässt sich kaum denken. Wir werden in dieser Ausstellung Zeuge einer mühsamen Bewusstmachung von Geschichte, einer Erinnerungsarbeit, ohne die das Trauma der Kulturrevolution nicht bewältigt werden kann.

Weitere Infos: Museum für Fotografie, Jebensstr. 2, bis 7. 1.;. Katalog (Kerber Verlag) 33 € / 38 €. www.smb.museum/deutsch-chinesisches -kulturprogramm-2017

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