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© dpa-Zentralbild

Museum: Im Geisterhaus

Die kleinen Großen : Das Lindenau-Museum im thüringischen Altenburg birgt ungeahnte Schätze.

Rund um Berlin gibt es Museen mit exquisiten Sammlungen, die kaum jemand kennt. Anlass genug für Kunstreisen in die Umgebung – zu den „kleinen Großen“. Zuletzt: das klassische Dessau (Tsp. vom 9. 8.). Heute: ein Ausflug nach Altenburg.

Der berühmteste literarische Sohn der Stadt hat ihr kein positives Zeugnis ausgestellt: Schon der Name klinge nicht gerade einladend, eine Stadt mit dem Präfix Alt habe es schwer. „Und Burg – er lachte –, mit Burg assoziiere man ja das Schlimmste, Kälte, Enge, Verlies. Er müsse nur Alten-Burg sagen, und schon würden die ausländischen Partner die Hände heben und an einen aufgegebenen Kolonialposten Karls des Großen denken. Da habe er noch nicht mal die weitab und hinter sieben Hügeln gelegene Autobahn erwähnt. Ein Blick auf die Karte der Zugstrecken verrate ihm, dass hier bald nur noch Bummelzüge verkehren würden“, spottet der Investor, Baron Clemens von Barrista, in Ingo Schulzes Wenderoman „Neue Leben“.

Heute fährt die Regionalbahn von Leipzig im Stundentakt, vierzig Minuten, und man ist da. Von Berlin sind es zwei Stunden, nicht zu weit für einen Tagesausflug. „30 Euro hin und zurück“ einschließlich Museumseintritt, wirbt die Bahn für einen Dresden-Besuch mit Gemäldegalerie. Dresden im Kleinen gibt es in Altenburg. Aus dem Bahnhof im Neorenaissance-Stil, das hässliche Bahnhofcenter gegenüber souverän ignorierend, geht man 500 Meter nach links, vorbei an den Gründerzeitvillen der Wettiner Straße, von denen viele restauriert, manche allerdings noch vernagelt sind, und schon liegt es da, hellgelb und prächtig: das Lindenau-Museum am Fuße des Schlossbergs.

Die Dresdner Gemäldegalerie hatte sich der Semperschüler Julius Robert Enger 1876 tatsächlich zum Vorbild genommen für seinen Museumsneubau in Altenburg, und so erwartet den Besucher ein Galeriebau mit zweiläufiger Prunktreppe, figurengekröntem Portal, Kuppeln über den Eckrisaliten, Rustika im Erdgeschoss, Porträtmedaillons im Obergeschoss. Oktogon mit Oberlicht im Inneren, zarte Groteskenmalerei an den Decken, Rundbogenfenster geben den Blick frei in den Park. Das Lindenau-Museum ist der klassische Galeriebau im Kleinformat. Für das Städtchen Altenburg ein großer Wurf.

Glanz von gestern. Nach der Wende entwickelte sich in Altenburg, das 1990 Thüringen angegliedert wurde, obwohl sich die Mehrzahl der Altenburger für Sachsen entschied, nicht alles zum Guten. Knapp 37000 Einwohner gibt es heute, 10 000 weniger als 1994, Überalterung und Arbeitslosigkeit prägen das Stadtbild. Das prächtige Theater, das Schulze zum Schauplatz seines Romans machte, wurde 1995 mit Gera fusioniert. Und im Museum finden sich an einem Dienstag im Sommer ganze fünf Besucher.

Die jedoch erwartet eine kunsthistorische Sensation. Bernhard August von Lindenau (1779 – 1854), der das Museum 1847 gründete, zunächst in seinem Wohnsitz auf dem Pohlhof, war beseelt vom Bildungsgedanken. Dem „heimathlichen Unterricht in plastischer Kunst“ sollte die Sammlung dienen, eine Aufschrift am Pohlhof verkündete „Der Jugend zur Belehrung, Dem Alter zur Erholung“. Und so findet man im Erdgeschoss des Museums vor altrosa Wänden eine monumentale Abgusssammlung klassischer Kunst – und eins der schönsten Museumscafés der Welt. Zwischen Michelangelos Sklaven aus dem Louvre und dem Barberinischen Faun aus der Münchner Glyptothek, zwischen der Venus von Milo und dem Apoll von Belvedere sitzen die Besucher an Marmortischen, der Kaffee kommt aus dem Automaten. Selten hat einem so viel Prominenz beim Trinken zugesehen.

Keine Angst vor Kopien: Das galt im 19. Jahrhundert. Dass er sich große Kunst im Original nicht leisten könne, war dem Ex-Minister und Volksaufklärer Lindenau klar. So sammelte er im Abguss: die antiken Statuen aus den großen Museen der Welt. François-Henri Jaquet, den ehemaligen Leiter der Abgusswerkstatt der Akademie der schönen Künste in Paris, fleht er noch in seinen letzten Briefen an, doch bitte bald zu liefern. Anderswo, auch in Berlin, landeten solche Abgüsse, die „weißen Gespenster“, Ende des 19. Jahrhunderts im Depot oder in Studiensammlungen. In Altenburg sind sie in all ihrer makellosen Schönheit zu sehen.

Lindenau holte sich auch andere Kopien ins Haus: 130 Meisterwerke der Hochrenaissance ließ er nachmalen, 36 Raffaels, zehn Tizians, Correggio, Leonardo, Michelangelo, die Schule von Athen, das Abendmahl, die Mona Lisa. Mit dieser Sammlung meinte die Zeit es nicht gut. 1968 wurde sie dem Staatlichen Kunsthandel der DDR übergeben, an Sammler verkauft und zerstreut. Nur vier Kopien haben sich im Haus erhalten.

Doch die Besucher kommen nicht wegen der Antiken, auch nicht wegen der gut sortierten kunsthistorischen Bibliothek, der umfangreichen Vasensammlung oder den Korkmodellen antiker Architekturen. Sie kommen wohl auch nicht wegen der gehaltvollen 19.- und 20.-Jahrhundert-Bestände oder der beständig wachsenden Sammlung zu Gerhard Altenbourg, dem zweiten großen Sohn der Stadt. Und im Zweifel nicht einmal wegen der Sonderausstellung zu Cy Twombly, der in diesem Jahr mit dem Gerhard-Altenbourg-Preis ausgezeichnet wurde.

Nein, der Besucher kommt wegen 180 kleinen, goldgrundigen Holztafeln, die auf rotgestrichenen Wänden in acht Kabinetten im Obergeschoss zu sehen sind. Das Lindenau-Museum besitzt die größte Sammlung italienischer Malerei des 13. bis 15. Jahrhunderts diesseits der Alpen. Gerade erst ist die Kollektion aus Paris zurückgekehrt, wo der Schatz wahre Begeisterungsstürme auslöste. Hier sind sie alle: Pietro Lorenzetti und Lippo Memmi, Bernardo Daddi und Lorenzo Monaco, Fra Angelico, Masaccio, Filippo Lippi, ja selbst ein (im 16. Jahrhundert übermalter) Botticelli. Die zarten Madonnen im leuchtendblauen Gewand auf Goldgrund, all die Verkündigungsszenen, die Heiligen drei Könige, Passion und Kreuzigung – und die Engel mit vielfarbigem Gefieder spielen Laute und Zither, Orgel und Dudelsack.

In Ingo Schulzes erstem großen Roman „Simple Storys“ ist es ein Grieche, Dimitros, der im Museum die Frühitaliener sehen will, „Guido da Siena, den Botticelli und so.“ Bei unserem Besuch sehen wir zwei Amerikaner, die die kleinen Tafeln aufs Genaueste untersuchen. Griechen, Amerikaner, Franzosen - wäre doch gelacht, wenn nicht der eine oder andere Berliner den Weg hierher fände.

Lindenau-Museum Altenburg, Gabelentzstr. 5, Di – Fr 12 - 18, Sa/So 10 – 18 Uhr

Christina Tilmann

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