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Das 20. Jahrhundert braucht Platz. Die Neue Nationalgalerie – mit Barnett Newmans „Broken Obelisk“ – ist viel zu klein für die Sammlung und muss renoviert werden.

© picture alliance / dpa

Berliner Museumsstreit: "An der Lernfähigkeit von Museen habe ich so meine Zweifel"

Es geht ums Ganze: Der ehemalige Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie Peter Raue über schwierige Sammler, den Berliner Museumsstreit – und die Lösung.

Herr Raue, seit der 10-Millionen-Euro-Gabe vom Bund zur Umrüstung der Gemäldegalerie für das 20. Jahrhundert tobt in Berlin ein Kulturkampf. Neue und alte Kunst werden gegeneinander ausgespielt. Wie erleben Sie als früherer Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie diese Auseinandersetzung?
Der Ansatz Alt gegen Neu ist falsch und reaktionär. Es geht um viel mehr: um die Gestaltung der Museumsstadt Berlin. Gewiss, in der Kommunikation ist einiges schiefgelaufen, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz war auf den Coup d’Etat mit den 10 Millionen Euro nicht vorbereitet. Als der frühere Generaldirektor Peter Klaus Schuster seinen Rochadeplan vor zehn Jahren vorlegte, wurde er von allen bejubelt. Nun, wo er umgesetzt werden soll, werden die Verantwortlichen als dumm, irrsinnig und abwegig tituliert.

Auslöser ist die Schenkung des Sammlerpaars Ulla und Heiner Pietzsch, für die Sie den Vertrag ausgehandelt haben. Was steht denn nun drin?

Das Ehepaar Pietzsch will keinen eigenen Raum für die Sammlung haben, verlangt nicht, dass alle Werke präsentiert werden, besteht nicht einmal darauf, dass sie an einem Ort versammelt sind. Die Arbeiten auf Papier zum Beispiel sollen im Kupferstichkabinett unterkommen. Es will lediglich, dass ein Teil der Bilder dauerhaft gezeigt wird. Die Schenkung wird gültig an dem Tag, an dem es eine Lösung für die Präsentation der Moderne einschließlich von Teilen der Pietzsch-Schenkung gibt. Das Ehepaar Pietzsch macht das aber nicht daran fest, dass es das Haus betreten kann, in dem die Moderne gezeigt wird. Es will nur Gewissheit, dass es eines Tages existiert.

Ein Teil der Sammlung, wie viel Prozent der 120 Werke sind gemeint?

Im Vertrag steht keine Zahl, die Pietzschens wollen keinen Druck ausüben. Und sie sind fest davon überzeugt, dass ihre Chefs d’œuvre – Miró, Max Ernst, Delvaux – ohnehin gezeigt werden.

Peter Raue war bis 2008 Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie.
Peter Raue war bis 2008 Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie.

© Mike Wolff

Warum hat das Sammlerpaar die Bilder nicht direkt den Staatlichen Museen vermacht, sondern dem Land Berlin, das sie dann weiterreicht?

Das hat steuerliche Gründe. Die nach dem Tode der Eheleute anfallende Erbschaftssteuer wird – sie beträgt einen Bruchteil des Wertes, den die Schenkung ausmacht – erlassen. Diesen Verzicht kann nur das Land Berlin aussprechen, weil es die Steuerhoheit hat. Also gibt es zwei Verträge, einen zwischen dem Sammlerpaar und dem Land Berlin, einen zwischen Berlin und den Staatlichen Museen.

Pietzsch hat angedroht, dass er die Schenkung rückgängig macht, wenn nicht bis Frühjahr 2013 verbindliche Pläne für die Präsentation vorliegen. Ist das realistisch?

Es sind ja Klärungsprozesse in Gang. Im Frühjahr will die Preußen-Stiftung eine Machbarkeitsstudie vorlegen; inzwischen haben die Pietzschens auch wieder das Gefühl, ihre Schenkung sei von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und vom Bund gewollt. Der Vertrag ist aber, wie gesagt, so lange schwebend unwirksam, bis die verbindliche Zusage entweder für einer Galerie der Moderne oder für den Umzug in die jetzige Gemäldegalerie kommt, also für eine Lösung des Platzproblems.

Dresden, die Geburtsstadt von Heiner Pietzsch, hätte die Sammlung ebenfalls gerne. Muss Berlin bangen, dass die Surrealisten abwandern?

Heiner Pietzsch lebt seit 40 Jahren hier, er hat den Verein der Freunde der Nationalgalerie mitgegründet, war Jahrzehnte im Vorstand und hat als Schatzmeister den Verein mitgeprägt. Er ist Berliner und will seine Sammlung hier haben. Wenn der Bund und die Stiftung nichts dagegen tun würden, dass alles bleibt, wie es ist, wäre das der GAU. Aber bislang befindet sich alles auf gutem Weg.

Bis der Schuster-Plan oder eine andere Lösung des Raumproblems finanziert und realisiert sind, das dauert doch Jahre!

Der Bund und die Mitglieder des Kulturausschusses haben verstanden, dass etwas geschehen muss, egal ob es auf einen Erweiterungsbau für die Gemäldegalerie beim Bode-Museum hinausläuft oder einen Neubau für die Moderne am Kulturforum. Jetzt ist tatsächlich der Zeitpunkt gekommen, die Sache in Angriff zu nehmen.

"Sammler sind sensible, schwierige Menschen. Ihre Bilder sind wie Kinder"

Warum haben Sie in Ihrer Zeit als Vorsitzender des Freundesvereins nicht lautstark auf den fehlenden Platz für die Kunst des 20. Jahrhunderts aufmerksam gemacht?

Es fehlte der Anlass. In dieser Zeit wurde die Gemäldegalerie gerade erst fertig gestellt, wir hätten damals keinen Bau fordern können.

Die MoMA-Schau wäre ein guter Anlass gewesen zu sagen: Leute, der Preis ist hoch, die Moderne wandert bei Wechselausstellungen regelmäßig komplett in den Keller.

Vielleicht war es ein Versäumnis, aber wenn der Freundeskreis für die „Skatspieler“ von Otto Dix sammelt, dann kann er nicht in einem Atemzug verkünden, dass der Ankauf womöglich ins Depot wandern wird. Auch der Hamburger Bahnhof war damals neu: Beuys, Warhol und Rauschenberg waren noch Zeitgenossen als Meister des 20. Jahrhunderts. Inzwischen ist der Hamburger Bahnhof der Ort für das 21. Jahrhundert, aber Beuys und Co. gehören in eine Galerie des 20. Jahrhunderts. Die Sammlung Pietzsch ist jedenfalls nicht der Grund für die neuerliche Anstrengung, diese Probleme zu lösen, sondern lediglich ein wunderbarer Anlass.

Der Reichtum der Nationalgalerie geht nicht zuletzt auf akquirierte Privatsammlungen zurück, darunter die Flick-Collection. Warum ist das Verhältnis zwischen Sammlern und Museen so kompliziert?

Die Flick-Collection ist deshalb ein schlechtes Beispiel, weil die Zusammenarbeit von Sammler und Museum reibungslos läuft. Im Prinzip aber haben Sie recht: Das Grundproblem der Privatsammlungen in öffentlichen Museen besteht zu 90 Prozent darin, dass schlechte oder gar keine Verträge abgeschlossen werden, wie etwa bei Hans Grothe oder Lothar Günther Buchheim.

Der Bauunternehmer Grothe gab aus dem Bonner Kunstmuseum heraus Teile zu Christie’s in die Auktion, für Buchheim war mit dem Museumsbau in Duisburg schon begonnen worden. Am Ende ging er nach Feldafing.

Sammler sind sensible, schwierige Menschen. Ihre Bilder sind wie Kinder, die sie zwar ins Internat schicken, aber nicht zur Adoption freigeben wollen. Die Museumsdirektoren trauen sich deshalb häufig nicht, auf einen Vertrag zu drängen. Aber das Museum muss den Mut haben, die heiklen Fragen zu stellen. Will der Sammler einen eigenen Saal? Soll alles gehängt werden oder nur eine Auswahl? Wie lange muss ausgestellt werden? Wer entscheidet über die Präsentation? Jede Privatsammlung setzt sich aus guten und schwächeren Werken zusammen, schon wegen des Zeitgeschmacks. Wilhelm von Bode durfte sich bei James Simon, dem großen Berliner Mäzen, die Werke aus dessen Sammlung bei ihm zu Hause aussuchen. Das ist der Traum eines jeden Museumsdirektors. Auch das Sammlerpaar Pietzsch verhält sich sehr großzügig und überlässt die Präsentationsentscheidung dem Direktor der Nationalgalerie.

In den neunziger Jahren fungierten Museen zum Teil als Durchlauferhitzer zur Wertsteigerung einer Sammlung. Haben die Museen aus ihren Fehlern gelernt?

An der Lernfähigkeit von Museen habe ich so meine Zweifel. Bis heute ist es manchem Museumsdirektor nicht beizubringen, dass er nicht die Urheberrechte an einem Bild besitzt, wenn er es für sein Haus erworben hat und er es nicht einfach auf T-Shirts zeigen darf. Aber ich muss auch der Theorie vom Durchlauferhitzer widersprechen, denn sie ignoriert die Vielzahl der Wertfaktoren bei der Bildenden Kunst. Sammler sind Liebhaber, die meisten handeln aus Leidenschaft, nicht aus Profitinteresse. Auch die Präsentation eines einzelnen, für eine Ausstellung ausgeliehenen Werks kann dessen Wert ja erhöhen. Wenn eine der Arbeiten von Rebecca Horn hier in meinem Büro im New Yorker MoMA und im Pariser Centre Pompidou zu sehen ist, erfährt das Werk ein Upgrading. Wenn das Jüdische Museum jetzt dem vergessenen Maler R. B. Kitaj eine Ausstellung widmet, steigert das den Wert von Kitaj-Bildern in Privatbesitz. Hängt eine Leihgabe im Museum, so ist das auch mal wertsteigernd, – ein Nebenprodukt, aber kein Ziel!

In Berlin sind Leihgaben auch direkt aus Museen heraus verkauft worden, etwa von der Sammlung Marx oder Berggruen. Wie kann so etwas passieren?

Jede Leihgabe schließt die Rückgabe mit ein, das ist der Sinn eines Leihvertrags. Die Sammlung Berggruen wurde durch die 200 Millionen DM seitens der Regierung Schröder nur teilweise ins Eigentum des Bundes überführt. Von den Leihgaben darf sich der Leihgeber natürlich trennen, soweit der Vertrag keine Fristen oder Bedingungen formuliert – auch aus dem Museum heraus. Die Pietzschens haben sich dankenswerterweise für die klarste Lösung entschieden: die Schenkung. Vielen Sammlern fällt das schwer.

War das auch bei Friedrich Christian Flick so, als er seine Sammlung dem Hamburger Sammlung als Leihgabe überantwortete?

Flick hatte zunächst nur geliehen, weil er abwarten wollte, wie er in Berlin angenommen wird. Es gab den abstrusen Streit um seinen Großvater Friedrich Flick, um die NS-Verstrickung des Konzerns und die Entschädigungszahlungen in den Zwangsarbeiterfonds. Inzwischen schenkt sein Enkel den Staatlichen Museen jedes Jahr beachtliche Teile der Sammlung. Er macht das leise, ohne großes Aufhebens.

"Vorsicht mit Unterschriftenlisten! Das sind viele, die blind unterschreiben."

Heinz Berggruen wollte aus ganz anderer Warte, als zurückkehrender Jude, ebenfalls erst einmal sehen: Kann ich mich in Berlin mit meinen Bildern wohlfühlen?

In den Verträgen wurde die Dauer der Leihgabe genau festgelegt: zunächst zehn Jahre, dann noch einmal zehn. Für diese Festlegung wurde ihm im Gegenzug das Museum in Charlottenburg zur Verfügung gestellt, das war der Deal. Ein viel besserer als etwa bei der Münchner Sammlung Brandhorst: Da zahlt der bayerische Staat einen Neubau und kommt für die laufenden Kosten auf, aber was dort gezeigt wird, bestimmt ausschließlich der Sammler. Ein Privatmann entscheidet in einem öffentlich finanzierten Haus, was museumswürdig ist: So etwas gibt es in Berlin zum Glück nicht. Die Sammlung Bröhan ist der Stadt für immer vermacht, auch Berggruen und jetzt Pietzsch.

Um Berggruen gab es posthum hässlichen Streit: Er habe das Wohlwollen der Stadt ausgenutzt und seinen Vorteil gesucht, hieß es kürzlich.

Dass Heinz Berggruen hier mit Jubel begrüßt wurde, war auch eine Versöhnungsgeste gegenüber einem großen jüdischen Bürger. Vielleicht gab es da tatsächlich einen Überschuss an Umarmung, der aber im Kontext der deutschen Vergangenheit verständlich und berechtigt ist. Auch mich hat es zutiefst gefreut und gerührt, dass er nach Berlin zurückkam. Der Wert der Sammlung wurde damals von zwei unabhängigen Gutachtern auf 750 Millionen Mark taxiert, er liegt wesentlich höher als die 250 Millionen, die vom Bund und aus Lottomitteln gezahlt wurden.

Zurück zum aktuellen Streit: 2015 wird die Neue Nationalgalerie für eine Generalsanierung geschlossen, die Moderne verschwindet dann womöglich jahrelang im Depot. Was muss bis dahin geschehen?

Ich wünsche mir, dass die Alten Meister ab 2015 ins Bode-Museum wandern und die Moderne in die Gemäldegalerie einzieht. Allerdings muss es eine langfristige Lösung für die Altmeister geben. Nur dann ist ein zeitweiliges Zusammenrücken von Skulpturen und Gemälden im Bode-Museum zumutbar. Ich halte das für erträglicher, als dass die Kunst des 20. Jahrhunderts über Jahre gar nicht gezeigt werden kann. Meine erste Wahl ist nach wie vor ein Neubau für die Alten Meister direkt gegenüber der Museumsinsel.

Die Machbarkeitsstudie prüft auch die Möglichkeit eines Neubaus für die Moderne auf dem Kulturforum.

Es ist eine Option, die Brache zwischen Philharmonie und St. Matthäus-Kirche zu bebauen. Falls man sich für diese Lösung entscheidet, wäre die Moderne ab 2015 erst einmal verschwunden. Da muss man eben eine Zwischenlösung finden, die ich auch nicht kenne. Ich bleibe aber optimistisch: Mit Hölderlin „Wo Gefahr ist, da wächst das Rettende auch.“ Im Übrigen ist die veröffentlichte Meinung nicht unbedingt identisch mit der Öffentlichkeit.

Es gibt eine Petition mit 13 700 Unterschriften gegen den Umzug der Gemäldegalerie.

Vorsicht mit Unterschriftenlisten! Das sind viele, die blind unterschreiben. „Wollt ihr die Zerstörung der Gemäldegalerie ?“ Da ist die Unterschrift und das Nein billig. Der Förderverein der Gemäldegalerie hat nicht protestiert. Der Chef des Metropolitan Museum New York, der Chef der Londoner Tate Britain und andere internationale Koryphäen machen sich für die Rochade stark. Manchmal muss man die Öffentlichkeit ein bisschen belehren und zum Beispiel unermüdlich wiederholen, dass erst umgezogen wird, wenn es verbindliche Zukunftspläne gibt. Ich habe einen pädagogischen Eros und bin überzeugt, dass sich die Bürger dieser Stadt für die Rochade gewinnen lassen.

Das Gespräch führten Nicola Kuhn und Christiane Peitz.

Peter Raue, Jahrgang 1941, war von 1977 bis 2008 Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie. Er gehört zu den herausragenden Persönlichkeiten des Berliner Kulturlebens.

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