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Kiss me Kate

© dpa

Musical: Glitter der Kokosnuss

Schön schrill: Barrie Kosyks "Kiss me, Kate" an der Komischen Oper Berlin. Das Musical ist Lichtjahre entfernt vom "Fabrikhaften der modernen Musical-Industrie" mit ihrer "Fotocopy-Perfektion".

An der Klimaanlage liegt es nicht, wenn man bei der Premiere von „Kiss me, Kate“ schon nach der Eröffnungsszene das Bedürfnis verspürt, sein Jackett abzulegen. Die Luft in der Komischen Oper ist angenehm. Angenehm kühl. Nicht eiskalt wie in amerikanischen Theatern, wo sich Alteuropäer zumeist schockgefrostet fühlen. Überhaupt ist bei dieser Neuproduktion des Musical-Klassikers alles ganz anders als am Broadway. Regisseur Barrie Kosky nutzt die Chance, dass es in Berlin für das Genre keine Performance- Traditionen gibt wie in New York, um Cole Porters genialen Wurf von 1948 rücksichtslos subjektiv zu inszenieren. Lichtjahre entfernt vom „Fabrikhaften der modernen Musical-Industrie“ mit ihrer „Fotocopy-Perfektion“, wie er die globalisierte Gleichförmigkeit von „Cats“ oder „Phantom der Oper“ nennt, weit, weit weg aber auch von der legendären 1953er-Verfilmung der Shakespeare-Parodie.

Statt wie üblich auf einer Drehbühne spielt die Theater-auf-dem-Theater- Handlung hier zwischen Frackkisten, während für die Szenen aus „Der Widerspenstigen Zähmung“ ein Gestänge mit wechselnden Vorhängen ausreichen muss (Klaus Grünberg). Statt Pseudo-Renaissance-Anzügen fährt Kostümbildner Alfred Grünberg Cowboy-Outfits auf, falsche Bärte, Billigperücken, Seventies- Grausamkeiten, gestreifte Röhrenhosen und Pailletten, Pailletten, Pailletten.

Friedrichstadtpalast meets Christopher Street Day: Alles, was hier nicht glitzert, ist nackte Haut. Otto Pichler hat supersexy Choreografien für die durchtrainierten Körper erfunden, beim Opening ist die Bühne ein einziger Wirbel aus Armen, Beinen, Busen und Waschbrettbäuchen. Dagegen kommt keine aircondition an: Es ist – mit einer der Glanznummern des Musicals gesprochen – einfach viel zu heiß!

Barrie Kosky gehört zu den wenigen Regisseuren, die derzeit noch der Zaubermacht des Theaters vertrauen. An der Komischen Oper hat er bereits Mozarts „Figaro“ und Ligetis „Grand Macabre“ auf seine ideensprühende, liebevoll-lebenstolle Art inszeniert. Auch „Kiss me, Kate“ nimmt er absolut ernst, als Meisterstück des unterhaltenden Musiktheaters, als Story über zwei Menschen und ihre letzte Chance, doch noch miteinander glücklich zu werden. Ein Werk ernst zu nehmen heißt für Kosky allerdings auch, sich nicht von den Interpretations-Traditionen einschüchtern zu lassen. Er verlegt die Shakespeare- Handlung nach Padua, New Mexico. Er pfeift auf Günther Neumanns Übersetzung von 1955 und lässt sich von Susanne Felicitas Wolf eine neue anfertigen, die nicht halb so geistreich ist. Er entscheidet sich gegen einen süffigen Orchestersound und für ein Bigband-Arrangement, das dank Koen Schoots befeuerndem Dirigat und der Experimentierfreude seiner Musiker prächtig funktioniert.

Koskys größte Stärke aber ist es, handwerklich minutiös gearbeitete Abläufe wie improvisiert erscheinen zu lassen. Wo die Chefregisseure des Hauses oft verkrampft wirken, wenn sie witzig sein wollen – man denke an Harry Kupfers „Orpheus in der Unterwelt“ oder Andreas Homokis „Fledermaus“ –, bleibt Kosky locker. Weil er kein Didaktiker sein will, lässt er den Solisten in den Proben Raum zur Entfaltung. Das führt in diesem Fall zu einem All-Star-Abend: Dagmar Manzel wütet und tobt völlig enthemmt als kussunwilliges Käthchen, stößt Laute aus, für die es keine Umschreibungen gibt, und macht ihre Figur doch nicht klein, wächst im Gegenteil zum überlebensgroßen Charakterweib, gemixt aus dem Besten von Nina Hagen, Alice Schwarzer und Ute Lemper. Roger Smeets begegnet ihr auf Augenhöhe: An der Komischen Oper war er in jungen Jahren der Don Giovanni mit den roten Lederhosen, hier ist er nun ein grandios abgewrackter Fred Graham, ein reifer Singschauspieler, der selbst im wüstesten Klamaukgewimmel Fallhöhe aufbauen kann.

Virtuos besetzt ist das komische Paar: Sigalit Feig als Bianca, ein Schlangenmädchen mit modischer Musicalröhre, und Danny Costello als Bill, jeder Zoll ein US-Vollprofi, vom Zahnpasta-Grinsen bis zum Stepptanz-Solo. Wenn er zusammen mit Miha Podrepsek und Robin Poell in schrillbunten Glitzerkostümen um Biancas Gunst balzt, als hätte Ursli Pfister sich verdreifacht, fällt einem nur noch ein Wort ein: camp. „Es gibt gewisse Kunstwerke“, hat die große Susan Sontag einmal geschrieben, „die man als camp ansehen kann und die dennoch ernsthafte Bewunderung und ein ernsthaftes Interesse verdienen.“ Barrie Koskys „Kiss me, Kate“ gehört unbedingt dazu.

Wieder am 6., 7., 14., 20. und 25. Juni sowie 2., 10., 11. und 26. Juli.

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