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Musical, Oper, Klassik: Kurz & kritisch

KLASSIK Mystizismus: der Rias-Kammerchor im Kraftwerk Mitte Man macht es in Schwimmbädern, Ministerien, Stahlkochereien und Museen, auf Wasserbühnen, in Fabrikhallen oder gar unter Wasser: Gesungen wird mittlerweile an den erstaunlichsten Orten. Offiziell, um Chormusik in „Beziehung“ zu setzen und „neue Erkenntnisse“ in diversen Spannungsfeldern zu gewinnen.

KLASSIK

Mystizismus: der Rias-Kammerchor

im Kraftwerk Mitte

Man macht es in Schwimmbädern, Ministerien, Stahlkochereien und Museen, auf Wasserbühnen, in Fabrikhallen oder gar unter Wasser: Gesungen wird mittlerweile an den erstaunlichsten Orten. Offiziell, um Chormusik in „Beziehung“ zu setzen und „neue Erkenntnisse“ in diversen Spannungsfeldern zu gewinnen. Aber natürlich auch, um ihr einen Eventglanz zu verleihen. Der Rias-Kammerchor muss zwar keineswegs um Aufmerksamkeit buhlen, begibt sich aber trotzdem mit seinen Forumkonzerten gern an außergewöhnliche Orte.

Die Idee, im völlig düsteren Heizkraftwerk Mitte eine Art mystische Kontemplation zwischen Klang und Stille zu zaubern, wollte jedoch nicht recht aufgehen. Das lag zum einen daran, dass der Chor seinem eigenen Anspruch nicht immer gerecht wurde und mit dem immensen Nachhall und der Akustik in der Trafohalle zu kämpfen hatte – zumal die Sänger im Raum umherwandelten. Zum anderen mangelte es an einem Konzept, wie das Ziel, eine bestimmte Stimmung erzeugen zu wollen, denn zu erreichen sei. Rihms Passionstexte gegen Rachmaninows Liturgie, Mahler gegen Messiaen – was hätten sich da für Kontraste entzünden können!

Der Rias-Kammerchor singt all das selbstverständlich sehr gut. Aber Dirigent Hans-Christoph Rademann jagt ungeachtet der Stilistik einem Klangideal nach, das in seinem Perfektionismus leider sehr homogen bleibt. Entrückter, gedämpfter, kühler Gesang. Nur schön, nicht bewegend, zumal auch Gemurmel und Gläserklirren die Industriekathedrale entweihen. Am Ende begeisterter Applaus. Christian Schmidt

MUSICAL

Exorzismus: „Das Ding im Sumpf“

an der Neuköllner Oper uraufgeführt

Erst war das schleimige verkrautete Wesen nur eine Figur aus einem Horrorcomic der 70er Jahre. Doch der britische Comic- Autor Alan Moore verwandelte es in einen zwiegesichtigen Superhelden, der auch Film und Fernsehen eroberte. Und nun hat es sich gar in einem Berliner Keller eingenistet – dem der Neuköllner Oper. Die Rede ist von „Swamp Thing“, dem „Ding aus dem Sumpf“ (Karl-Marx-Str. 131 – 133, wieder diesen Sonnabend sowie am 25., 29. u. 30.9., 21 Uhr), hinter dem sich der geniale Wissenschaftler Dr. Dr. Alec Paine verbirgt. Oder vielmehr das, was nach einem Unfall von ihm übrig blieb. Und so sitzt man in einem Laborraum in klaustrophobischer Enge und wartet, in welchem Aggregatzustand das Grauen über einen hereinbrechen wird.

Es wird ein Abend des hervorragend choreografierten Trashs. Denn die Chuzpe, die Geschichte mit heiligem Ernst zu erzählen, haben die Librettistin Anita Augustin und Regisseur Eike Hannemann nicht. Dadurch verliert der „Sumpf“, der für das ambivalente Verhältnis der postökologischen Gesellschaft zu den dunklen Seiten der Natur steht, an Tiefe. Kurzweilige Unterhaltung bietet das Singspiel mit Bühnenmusik dennoch: Das liegt vor allem an der mit viel Witz, Tempo und unglaublich präzisem Strich gezogenen Gestik, die Karoline Goebel, Christian Beermann und Daniel Breitfelder liefern. Und auch am Komponisten Matthias Herrmann, der mit Musicalsongs im Retrostil, selbst gespielten psychedelischen Gitarren- und Cello-Loops sowie mit Sumpfgeräuschen aus verstärkter Kaffeemaschine und malträtiertem Gemüse für Gruseln mit Grinsen sorgt. Carsten Niemann

KLASSIK

Mikrokosmos: Albrecht Mayer,

Bychkov und die Philharmoniker

Ein Ton ist ein Ton ist ein Ton? Albrecht Mayer, der Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker, beweist das Gegenteil, mit mindestens hundert Arten, die Note H auf seinem Instrument zu spielen. Nicht nur mit ausgeklügelter Dynamik und Phrasierung, mit Doppelzunge, raffinierten Flageoletts und Gesangsstimmeneinsatz, nein, er variiert auch die Tonhöhe und fächert sie in unzählige Minimalnuancen auf. Mal klingt die Oboe wie eine Flöte, mal wie eine Geige oder wie ein auf dem letzten Loch pfeifendes metallisches Rohr. Das Universum auf einem Stecknadelkopf: Mit Luciano Berios „Sequenza VII“ für Solo-Oboe eröffnet Mayer unendliche Weiten auf kleinstem Raum, entdeckt den Makro- im Mikrokosmos – ein Ereignis an diesem symphonischen Abend in der Philharmonie. Leider das einzige: Denn Semyon Bychkov macht mit seinem Dirigat vor und nach Mayers Auftritt die Räume umgekehrt enger.

Darunter leidet vor allem Berios „Rendering“ (1988/90), die behutsame Rekonstruktion von Schuberts nur in Skizzen überlieferter „zehnter“ Sinfonie, die Bychkov bereits vor 20 Jahren mit den Philharmonikern zur Aufführung brachte. Zwischen die heiteren Fragmente hat Berio herzflimmernde Klangflächen gesetzt, den Vorhang der Tonalität gleichsam wegziehend, um den Blick auf eine leere Bühne freizugeben. Seine zärtliche Schubert-Hommage hätte mehr Detailliebe verdient und weniger Nonchalance, die die Schubert’sche Unbeschwertheit ins Belanglose kippen lässt.

Auch die 1. Sinfonie des klassizistischen Briten William Walton, dieses von Energiestößen durchpulste, mit cool dahergeschlenzten Melodien versehene Werk nimmt Bychkov einfach nur salopp. Western- und Science-Fiction-Filmmusik aus den 30er Jahren: Cowboys & Aliens, effektvoll in Szene gesetzt.

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