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© dpa

Musical: "The Producers": Strammer Max

Mehr als ein Musical: Mel Brooks’ Broadway-Satire „The Producers“ im Admiralspalast.

Einen Moment lang stockt den Zuschauern dann doch der Atem, wenn die Hakenkreuzfahnen ausgerollt werden, wenn die Chorus Line im Stechschritt paradiert und am Kopf der Showtreppe Adolf Hitler erscheint. Der Reichsadler spannt seine Schwingen über die gesamte Bühnenbreite, Trompeten schmettern, ein prachtvolles Spektakel schnurrt ab, ganz wie weiland in Nürnberg. Fast meint man, Leni Riefenstahls knöchrige Finger zu hören, die vor Begeisterung gegen den Sargdeckel pochen.

Und doch geht es in Mel Brooks’ Musical „The Producers“ gar nicht um die Nazis. Sondern nur darum, wie man, pardon, aus Scheiße Gold macht. Dazu nämlich ist dem alten Broadway-Hasen Max Bialystock absolut jedes Mittel recht. Wenn sich der Vorhang hebt, hat er gerade Shakespeares „Hamlet“ zu einer Show verwurstet. Die ist zwar ein Flop, doch als ihm sein Steuerprüfer Leo Bloom vorrechnet, dass sich mit einem Misserfolg viel mehr Geld verdienen lässt als mit einem Hit, will er das krumme Ding sofort drehen.

Der an seinem Namen unzweideutig als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer identifizierbare Bialystock macht sich auf die Suche nach dem schlechtesten Textbuch aller Zeiten – und wird bald fündig. Dass es sich bei „Frühling für Hitler“ um die Führer-Verherrlichung eines Altnazis handelt, stört den Geschäftsmann wenig. Ebensogut hätte das Stück Stalin oder den Papst lächerlich machen können. Hauptsache, die Chose wird ein Reinfall.

„The Producers“ ist ein Stück über die Skrupellosigkeit der Entertainment-Macher, ein böser Blick hinter die Kulissen des Showbusiness. Seit 2001 läuft die Bühnenversion von Brooks’ Filmklassiker am Broadway. Die deutschsprachige Erstaufführung des satirischen Meisterwerks, die 2008 in Wien herauskam, ist seit Sonntag nun im Admiralspalast zu sehen.

Die Optik entspricht Susan Stromans turbulenter New Yorker Inszenierung, Philipp Blom ist es gelungen, ein Maximum an Witz in seine Übersetzung hinüberzuretten. Der größte Trumpf der deutschsprachigen Version aber ist die Besetzung. Cornelius Obonya gibt seinem Max Bialystock die Fallhöhe eines Mackie Messer: Sein Producer ist aasig, rücksichtslos, geldgierig und gleichzeitig von so unwiderstehlichem Charme, dass man die alten Damen versteht, wenn sie sich am Ende im Gerichtssaal gerührt auf seine Seite schlagen, obwohl er sie doch um ihre Dollars geprellt hat.

Hinreißend verhuscht wirkt neben ihm Andreas Bieber als Leo Bloom, ein Hänfling, der sich an seinem Schnuffeltuch festklammert, der so gerne auch ein Arschloch wäre und doch nicht aus seiner ehrlichen Haut herauskann. Bettina Mönchs schwedische Sexbombe Ulla ist der perfekt gespielte Blondinen-Witz, Herbert Steinböcks Bayerisch blubbernder Altnazi Franz Liebkind kontrastiert herzallerliebst mit dem Tuntenquintett um Martin Sommerlattes Roger DeBris. Das Ensemble singt und tanzt grandios, die Musiker haben den rechten Swing für Mel Brooks’ wunderbar altmodische Ohrwurm-Melodien, die Doug Besterman und Larry Blank kongenial im Stil der vierziger Jahre arrangiert haben.

Dass diese Weltklasse-Show in Wien dennoch kein Erfolg wurde, dass der Kartenverkauf trotz euphorischer Kritiken in der österreichischen Hauptstadt bald schwächelte – weshalb man sich entschloss, „The Producers“ für den Rest der mit den Amerikanern ausgehandelten Laufzeit nach Berlin auszuleihen –, ist nur auf den ersten Blick schwer erklärlich. Mit ihren Eigenproduktionen „Elisabeth“, „Mozart!“ oder „Rebecca“ haben die Vereinigten Bühnen Wien bei ihrer Stammklientel eine Erwartungshaltung erzeugt, die dem Geist der „Producers“ diametral entgegensteht. Geht es im rührseligen musical drama darum, dass die Ikonen der Kulturgeschichte auch nur normale Menschen waren, die darum kämpfen mussten, sich unter schwierigen gesellschaftlichen Verhältnissen treu zu bleiben, sind die Sympathieträger bei Mel Brooks blitzgescheite Gauner, die alle Schwächen des Systems rücksichtslos zu ihrem Vorteil ausnutzen. Der deutsche Musical-MarktführerStage Entertainment hatte erkannt, dass so etwas bei ihrer Stammkundschaft, die das „Phantom der Oper“ und „Dirty Dancing“ liebt, eher nicht ankommen würde. Sie ließ deshalb die Finger von dem mit zwölf Tonys veredelten Broadway-Hit.

„The Producers“ ist ein Stück für Sprechtheater-Fans. Wann hat man je auf einer deutschen Musicalbühne eine derart virtuose, tempo- und pointenreiche Dialogszene erlebt wie die erste Begegnung zwischen Bialystock und Bloom? Ja, wann wurde zuletzt in Berlin so hinreißend, so geistreich, so brillant böse Komödie gespielt? Vor 1933 gab es diese eleganten, zynischen, lebensverliebten Scriptautoren, Coupletkomponisten und Gagschreiber vom Schlage eines Mel Brooks auch in der deutschen Reichshauptstadt. Die Nazis mit ihrer völkischen Dumpfheit haben sie verfolgt, verfemt, vernichtet – oder vertrieben, ins Exil, nach Amerika. Von dort können wir Deutschen uns jetzt, 64 Jahre nach dem Ende der Nazizeit, den jüdischen Witz bestenfalls reimportieren.

Mit den „Producers“ ist der freche, freie Geist der so oft beschworenen Goldenen Zwanziger wieder in Berlin angekommen. Die im Musical-Bereich längst zur hohlen Geste verkommenen standing ovations – an diesem großen, unvergesslichen Premierenabend waren sie einmal angebracht.

„The Producers“ läuft bis zum 19. Juli. Infos unter: www.admiralspalast.de

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