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"Stella" von Peter Lund und Wolfgang Böhmer

© Matthias Heyde

Musicals in Deutschland: Fördern und Feiern

Musical bietet viel mehr als nur Glitzer und Glamour. Trotzdem ist es in Deutschland ein chronisch unterschätztes Genre. Die Deutsche Musical Akademie will das ändern.

Davon träumt jeder Musical-Macher: einen Überraschungserfolg hinzulegen, am Broadway, als Nobody. Lin-Manuel Miranda ist das gelungen, ausgerechnet mit einem Stück über Alexander Hamilton, der 1789 zum ersten Finanzminister der Vereinigten Staaten von Amerika wurde. Für keine Show werden die Tickets derzeit heißer gehandelt, selbst Prominente müssen Himmel und Hölle in Bewegung setzen, wenn sie „Hamilton“ sehen wollen. „Solche Hits fallen aber nicht vom Himmel“, sagt Norbert Huneke, Erster Vorsitzender der Deutschen Musical Akademie. „Sie sind hart erkämpft, das Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses.“ In der Tat hat Lin-Manuel Miranda fast sieben Jahre gebraucht, um seine Idee auf eine Bühne in Manhattan zu bringen. 2009 präsentierte er eine 20-Minuten-Kurzversion, dann begann die Suche nach Geldgebern, 2013 kam es zu einer Workshop-Produktion, im Januar 2015 war das Stück endlich reif für den Off-Broadway, sieben Monate später konnte es in eine der großen Bühnen rund um die 42nd Street umziehen.

„Von 100 Produktionen, die ein Tryout erleben, also eine erste Inszenierung, bei der die Wirkung aufs Publikum getestet wird, schafft es nur eine an den Broadway“, betont Huneke. In den USA gibt es für diese extrem aufwendigen Entstehungsprozesse gewachsene Strukturen. So etwas möchte er auch hierzulande etablieren. Auslöser für seine Mission war ein Gespräch mit dem Komponisten Stephen Schwartz, einem der erfolgreichen Profis auf dem Gebiet des unterhaltenden Musiktheaters, der unter anderem für „Wicked“, „Pippin“ und den „Glöckner von Notre-Dame“ die Songs geliefert hat. „Warum importiert ihr eigentlich immer amerikanische Shows?“, fragte er bei einem Deutschlandbesuch. „Hab ihr keine eigenen Geschichten, die ihr erzählen wollt? Themen, die mit euch und eurem Land zu tun haben?“

Selbst Stage Entertainment schafft es nicht, gute Stücke zu entwickeln

Recht hat er! Dachte Norbert Huneke, der bei der staatlichen Künstlervermittlung ZVS für die Musical-Darsteller zuständig ist: Und gründete eine Arbeitsgruppe zum Thema. Aus dieser Runde entstand 2013 dann die Deutsche Musical Akademie. Zu den wichtigsten Zielen der Vereinigung gehört die Förderung von Autoren. Nach dem Vorbild der Studiengänge für Kreatives Schreiben soll ein System von Workshop- und Fortbildungsangeboten aufgebaut werden, idealerweise verbunden mit einer eigenen kleinen Bühne, auf der sich die Ergebnisse sofort ausprobieren lassen.

In seinem Engagement konnte sich Norbert Huneke einmal mehr bestätigt fühlen, als Ende August der Unterhaltungskonzern Stage Entertainment das Theater am Potsdamer Platz mit der Begründung dichtmachte, es fehle an einem geeigneten Nachfolger für das Udo-Lindenberg-Biografical „Hinterm Horizont“. Wenn es selbst der kommerzielle Musical-Marktführer nicht schafft, ausreichend neue Stücke zu entwickeln, dann muss auf dem Gebiet wirklich einiges im Argen liegen.

Von Glamour bis Gestapo

Mit der Schaffung des „Deutschen Musical Theater Preises“ sind Huneke und seine Mitstreiter 2015 schon mal einen wichtigen Schritt vorangekommen. Wenn am 10. Oktober bei einer großen Gala im Tipi am Kanzleramt zum zweiten Mal die besten Musical-Uraufführungen des deutschsprachigen Raums gekürt werden, fällt angemessen viel Scheinwerferlicht auf das chronisch unterschätzte Genre. Das im Idealfall weit mehr zu bieten hat als Ablenkungsmanöver vom Alltag im Glitzer-Glamour-Stil. Die meisten der nominierten Stücke haben nämlich durchaus ernste Themen zum Gegenstand. „Der Tunnel“ etwa, nach einem Roman von 1913 über das waghalsige Projekt einer Atlantik-Unterquerung, uraufgeführt in Fürth, oder „Born out“, eine Produktion aus dem Berliner Admiralspalast. Am Theater Hof kam „Einstein“ heraus, eine Show, die den Anspruch hat, über die Lebensbeschreibung hinaus auch die Forschungsergebnisse des Genies zu vermitteln. „Gabi Mut – vom Leben geschlagert“ erzählt von einer DDR-Sängerin, deren Karriere nach dem Mauerfall zerbröselt, in „Stella“ – mit neun Nominierungen in den 13 Kategorien der diesjährige Favorit – haben Peter Lund und Wolfgang Böhmer an der Neuköllner Oper gar die Geschichte einer jüdischen Gestapo-Agentin auf die Bühne gebracht.

Auch wenn die Preise derzeit noch undotiert sind, löste die Initiative der Deutschen Musical Akademie bei den Künstlern sofort große Begeisterung aus. Weil hier Profis von Profis ausgezeichnet werden. Und weil unterhaltendes Musiktheater eben zum größten Teil von Menschen gemacht wird, die für kleinsten finanziellen Lohn maximales Engagement bringen. Da tut es einfach gut, wenn ein öffentlichkeitswirksames „Danke“ ihr unermüdliches Tun belohnt.

Die von Gayle Tufts moderierte Gala findet am 10. Oktober im Tipi statt. Weitere Infos: www.deutschemusicalakademie.de

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