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Musik: Das Erbe der Guttenbergs

Frederik Hanssen berauscht sich an der deutschen Musiklandschaft

Der Vater ist Dirigent, der Sohn Wirtschaftsminister. Enoch und Karl-Theodor zu Guttenberg repräsentieren zwei Betätigungsfelder, auf denen die Deutschen als besonders gut gelten – und zwar in dieser Reihenfolge: Lange bevor wir Exportweltmeister wurden, waren wir bereits Musikweltmeister. 78 Theater mit eigenen OpernEnsembles gibt es derzeit in der Bundesrepublik. Diese 78 Bühnen werden in der Saison 2009/10 520 Musiktheaterproduktionen herausbringen, 520 Werke, neu gedeutet von Regisseuren und Dirigenten, wochenlang geprobt von Solisten, Chor und Orchester, realisiert auch von hunderten Technikern, Maskenbildnern, Garderobieren. Was in Deutschland pro Jahr geboten wird, dürfte, konservativ geschätzt, ein Drittel der globalen Opernproduktion ausmachen.

Weil aber der Kanon relativ überschaubar ist – nur ein paar Dutzend Stücke haben es in 400 Jahren Operngeschichte ins Kernrepertoire geschafft – verwundert es kaum, dass im Klassik-Schlaraffenland regelmäßig eine Oper am selben Tag in zwei Städten herauskommt. Zum Beispiel der „Freischütz“, am 26. 9. in Osnabrück und Pforzheim. Oder „Hänsel und Gretel“, am 19.12. in Passau und Saarbrücken. Für eine neue „Carmen“ hebt sich am 23.1.2010 sowohl in Magdeburg als auch in Bielefeld der Vorhang, für Gounods „Faust“ am 5. 6. in Kiel und Dresden. Und Mozarts „Zauberflöte“, der heißeste aller Opern-Dauerbrenner, ist zu Saisonbeginn gleich in fünf Städten in frischen Inszenierungen zu erleben: in Gießen, Aachen, Ulm, Hof und Coburg.

Die Wirtschaftskrise – um von Enoch zu Guttenbergs Arbeitsgebiet wieder zu Karl-Theodors zurückzuschalten – kann dem deutschen Opernboom also bislang nichts anhaben. Die Stadttheater sind voll, die staatlichen Fördergelder fließen wie versprochen. In weiten Teil der Republik haben die Politiker eingesehen, dass sich Sparprogramme in der Kultur einfach nicht lohnen. Die Pipifax-Summen, die sich aus Museen, Bühnen und Orchestern herauskürzen lassen, stehen in keinem Verhältnis zu dem Ärger, den man sich damit einhandelt. Da sind einfach zu viele Emotionen mit im Spiel.

In Berlin, der Weltmusikhauptstadt, trifft man auf das Phänomen klassischer Parallelaktionen in geballter Form: Am 1. September wird Helmut Rilling mit Händels „Messias“ gastieren, am 6. dann Thomas Hengelbrock. Berlioz’ „Sinfonie Fantastique“ erklingt am 2. Oktober mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und am 9. mit dem Orchester der Komischen Oper (nachdem die Berliner Philharmoniker das Stück bereits am 28. August gespielt haben). Am 24. 9. wird die Klarinettistin Sabine Meyer beim RSB auftreten, am 2. 11. kommt sie wieder, dann mit dem Tonhalleorchester Zürich. Und auch Patricia Kopachinskaya, der neue Shootingstar am Geigerinnnenhimmel, ist kurz hintereinander zweimal in Berlin zu erleben, am 2. 9. mit der Staatskapelle sowie am 14. 10. mit dem RSB.

Ein Grund zu meckern, die mangelhafte Absprache der hiesigen Häuser zu geißeln? Gemach. Wie sagt schon Goethes Theaterdirektor im „Faust“: „Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,/ Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus./ Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;/ Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“

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