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Kultur: Musik der Zukunft

Wie hältst du’s mit Stockhausen? Zum Abschluss des zehnten Berliner Ultraschall-Festivals

Zum Schluss gibt’s noch mal richtig schön Druck auf die Ohren: Mit der deutschen Erstaufführung von Karlheinz Stockhausens Tonbandkomposition „Cosmic Pulses“ beendete das Ultraschall Festival am Sonntagabend seine zehnte Ausgabe. Es ist das letzte große Werk des jüngst verstorbenen Komponisten, und nach dessen Aussage hört es sich an wie die Rotation von 24 Planeten. Oder vielleicht doch eher wie eine intergalaktische Stahlschmieden-Karambolage? Zur Verwunderung vieler hat Stockhausen am Ende seines Lebens nämlich noch einmal ein paradigmatisches Stück über den Absturz der seriellen Musik in die Unhörbarkeit geschrieben, in die überkomplexe Gleichgültigkeit.

24 Tonschichten stapeln sich hier mählich und allmählich übereinander, kreisen eine halbe Stunde in katastrophischem Lärm, verabschieden sich zum Schluss säuberlich eine nach der anderen. Anfang und Ende sind wunderbar anzuhören, dazwischen herrscht allenfalls Freude an der puren Klangwucht und eben das Gefühl des Ausgeliefertseins an eine gleichsam entfesselte Technik. Auch wenn die Anmutung des Organischen, des Gefühlten in jenem Getöse gelegentlich durchaus spürbar wird, erscheint dies für ein Spätwerk, für eine ästhetische Summe doch etwas wenig.

In klanglicher Hinsicht bietet das Stück zudem wenig Neues, es werden schlicht geläufige, leicht glockige Synthesizer-Klänge verwendet, die dann in atemraubender Komplexität und ebensolchem Tempo über acht Lautsprecher lustig Karussell fahren dürfen. Ganz anders ein zweites Stockhausensches Spätwerk: „Freude“ für zwei singende, in weiße Gewänder gehüllte Harfenistinnen. In diesem im Mailänder Dom uraufgeführten Werk tritt uns wieder ganz der Esoteriker entgegen, handwerklich solide und mit geradezu schamlosem Hang zum Kitsch. Daneben wiederum hören sich die frühen Klavierstücke I – V nach mehr als 50 Jahren noch erstaunlich frisch an.

Die von Benjamin Kobler und Frank Gutschmidt im (auch sonst) gut gefüllten Radialsystem blendend gespielten Werke wirken wie klar fokussierte Einblicke in das Forschungslabor eines jungen Komponisten, der die Welt gerade neu erfindet. Auch die Clusterstudie Klavierstück X vermag immer noch zu überzeugen: Weil zur Brutalität hier die Klarheit, die Durchhörbarkeit tritt.

Stockhausens letztes Klavierwerk, „Natürliche Dauern“ aus dem Jahr 2006 (wie die anderen Spätwerke Teil seines unvollendeten Zyklus „Klang“) schließt daran noch einmal an. Fundamentale Aspekte des Klaviersounds werden hier in so schematischer wie eindringlicher Weise präsentiert. Und das Klavier setzte gleich noch einen weiteren Festivalhöhepunkt, und zwar in Gestalt des gebürtigen Griechen Dimitri Vassilaki, im Hauptberuf Pianist beim französischen Eliteensemble Intercontemporain. Man hätte im kleinen Sendesaal des rbb buchstäblich die Flöhe husten hören können, als der hagere, ungemein konzentrierte Mann den „Contrapunktus“ von Mark Andre spielte oder auch „Momento in memoria di Rimbaud“, ein erstaunliches Frühwerk des damals erst 20-jährigen Matthias Pintscher. So sind es einmal mehr die Soloauftritte und singulären Interpretenpersönlichkeiten bei Ultraschall, die den stärksten Eindruck hinterlassen. Das gilt auch und vor allem für die Geigerin Carolin Widmann, die am Samstag im Rahmen eines griechischen Abends mit dem Deutschen Symphonieorchester unter Brad Lubman im Großen Sendesaal des rbb mit Xenakis’ „Dox-Orkh“ brillierte. Virtuosität kann sogar witzig sein.

Ansonsten hätte einen beim flüchtigen Durchsehen des Programms 2008 durchaus der Eindruck beschleichen können, hier handele es sich um ein Festival für religiöse Musik. Scelsi, Stockhausen – fehlte eigentlich nur noch Messiaen, und die Runde der maßgeblichen Komponisten religiös inspirierter Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wäre komplett gewesen. In den Vorträgen über Scelsi und Stockhausen wurde der religiöse Aspekt in deren Arbeit allerdings kaum behandelt. Das kann man verstehen, bewegt man sich als Musikwissenschaftler in diesem Fall doch sehr schnell auf sehr abschüssigem Boden. Nur verspräche andererseits eine Diskussion um Wahrnehmungsgehalte, aufgehängt an einer geistigen und weltanschaulichen Verortung des Komponisten, auch spannende Diskussionen. Spannender jedenfalls, als die immerwährende Erörterung kompositorischer Details und biografischer Kuriosa.

Wie wollen wir es denn beispielsweise mit Stockhausens Behauptung halten, seine auf die kunstvolle Schichtung von esoterisch besetzten Proportionen beruhende Musik trage den Keim einer (noch unverstandenen) Zukunftsmusik in sich? Solchen Fragen geht man lieber aus dem Weg, und so bleibt auch am Dienstag nach Ultraschall Giacinto Scelsi ein rätselhafter Einzelgänger und Karlheinz Stockhausen ein Denkmal für den kürzesten Abstand zwischen Genialität und Peinlichkeit.

Ulrich Pollmann

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