zum Hauptinhalt

Kultur: Musik in Berlin: Ein Hauch Lavendelduft

Die Sensation liegt schon im Biografischen: Ein 26-Jähriger als Dirigent der Berliner Philharmoniker, das ist ungefähr so, als ob ein Juso-Kreisvorsitzender plötzlich Bundeskanzler würde und sich Begabung und Engagement mit einem Mal gegen Profi-Routine und mächtige Partikularinteressen durchsetzen müssten. Daniel Harding, Rattle-Entdeckung und Hoffnungsträger der Klassik-Szene, tut unter diesem Gesichtspunkt das einzig Richtige: Er verkleinert den Apparat, den er beherrschen will, und beginnt sein Programm in Kammerorchester-Besetzung.

Die Sensation liegt schon im Biografischen: Ein 26-Jähriger als Dirigent der Berliner Philharmoniker, das ist ungefähr so, als ob ein Juso-Kreisvorsitzender plötzlich Bundeskanzler würde und sich Begabung und Engagement mit einem Mal gegen Profi-Routine und mächtige Partikularinteressen durchsetzen müssten. Daniel Harding, Rattle-Entdeckung und Hoffnungsträger der Klassik-Szene, tut unter diesem Gesichtspunkt das einzig Richtige: Er verkleinert den Apparat, den er beherrschen will, und beginnt sein Programm in Kammerorchester-Besetzung. Und bringt in den drei Sätzen aus Bergs "Lyrischer Suite" gleichzeitig das größte Orchesterkollektiv auf seine Seite: Mit weit ausgreifenden Gesten modelliert er die Stimmverläufe aus dem Edelkorpus der Philharmoniker-Streicher, konzentriert sich auf die weit geschwungene Ornamentik dieser Jugendstilmusik. Bruchlos gelingt von diesem Orchideenblüten-Berg das Hinübergleiten in die schwebende Traumatmosphäre von Brittens "Nocturne". Auch hier setzt Harding Ausdrucksgesten nur behutsam ein, fasst den hauchdünn gesetzten Orchesterpart wie mit Samthandschuhen an, um das Gleichgewicht zu Ian Bostridges minimalistisch agierendem Oxford-Tenor nicht zu gefährden. Zwei Gentlemen, die alles an Schweiß, Blut und Tränen, was in Brittens Traumvisionen stecken mag, vom Anlitz des Stücks fortgewischt haben: Zurück bleiben edle Blässe und ein feiner Lavendelduft. Allerdings auch ein sich klar abzeichnendes Profil von Hardings Interpretenpersönlichkeit. Die ist eher auf Ausgleich ausgerichtet - eine Portion Rattlescher Überschwang hätte auch Schumanns "Rheinische" Sinfonie über die Runden gebracht. Doch vor dem Orchesterplenum scheitert Harding vorderhand noch, klammert sich an den Hauptstimmen fest. Die romantischen Traumbilder, die so gut als Gegenstück zu Brittens Nachtvisionen gepasst hätten, versinken darüber im Tumult. Und Harding bleibt der Marsch durch die Instanzen wohl doch nicht erspart.

Jörg Königsdorf

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false