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Kultur: Musik in Berlin: Ein Walzer taumelt durch die Nacht

Aus Angst vor einer wiederaufflammenden Formalismusdebatte hielt Dmitri Schostakowitsch sein erstes Violinkonzert sieben Jahre lang unter Verschluss. Melancholie, Niedergeschlagenheit und Verzweiflung prägen weite Strecken des Konzerts, sozialistische Zuversicht, wie sie von einem sowjetischen Komponisten erwartet wurde, kommt nur als grotesk verzerrtes Scherzo vor.

Aus Angst vor einer wiederaufflammenden Formalismusdebatte hielt Dmitri Schostakowitsch sein erstes Violinkonzert sieben Jahre lang unter Verschluss. Melancholie, Niedergeschlagenheit und Verzweiflung prägen weite Strecken des Konzerts, sozialistische Zuversicht, wie sie von einem sowjetischen Komponisten erwartet wurde, kommt nur als grotesk verzerrtes Scherzo vor. Gewiss ist es bei einem solch hochvirtuosen Konzert verständlich, wenn der Solist die Noten mit aufs Podium der Philharmonie bringt, aber mit dem Notenpult stellt der Geiger Christian Tetzlaff auch eine Barriere zwischen sich und dem Publikum auf. Nach kurzer Zeit überwindet Tetzlaff jedoch diese Mauer mit der rhetorischen Brillanz und technischen Sicherheit seines Spiels. Die Noten scheinen nun nur noch als psychologische Hilfe vor ihm zu stehen, wenn er sie wirklich lesen müsste, könnte er das überdrehte Scherzo unmöglich so faszinierend akkurat spielen. Vor allem in den schwebenden Passagen zeigt sich aber seine wahre Virtuosität in der Zwiesprache mit dem Orchester, in dem groß ausschwingenden Ton, der immer weit entfernt ist von bloßer Zurschaustellung technischer Fähigkeiten. Tiefe musikalische Konzentration ohne Eitelkeiten prägt das Solokonzert im ersten Teil des Abends, ebenso wie Tschaikowskis "Pathetique" im zweiten.

Es ist ungeheuer beglückend, diese sechste Symphonie einmal nicht als reines Vehikel für Orchesterbrillanz zu hören, sondern als ehrliche Bekenntnismusik, nicht nur in den verdämmernden Satzschlüssen, dem Violinkonzert Schostakowitschs verwandt. Dirigent Manfred Honeck treibt das Deutsche Symphonie-Orchester in die dynamischen Extreme, lässt die lauten Stellen massiv knallen, um den Klang wenig später in ein spannungsreiches Piano zurückzudrehen. Atemberaubend taumelt der Walzer des zweiten Satzes, der keiner ist, durch die Nacht, geradezu beängstigend maschinenhaft läuft das Uhrwerk des dritten Satzes ab. Dabei lässt Manfred Honeck den Holzbläsern genügend Raum, vor allem für das grandios gespielte Klarinettensolo im ersten Satz. Darüber hinaus gibt er den Streichern jenen warmen Ton zurück, der schon länger nicht mehr zu hören war. Ein spannender Konzertabend, gerade weil er durch und durch uneitel den Komponisten diente.

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