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Kultur: Musik in Berlin: Erkenne dich selbst

Heinz Holliger vertont Georg Trakl: Nach der Lektüre der Liedtexte und der Programmankündigung erwartet die Hörerin eine Art tönernes Ground Zero: "Gewaltig ist das Schweigen in Stein", heißt es da in bester expressionistischer Manier. Dazu hat der Komponist das Blech, die Streicher, das Schlagwerk "wie zerklüftete Felsen" gegeneinander gesetzt.

Heinz Holliger vertont Georg Trakl: Nach der Lektüre der Liedtexte und der Programmankündigung erwartet die Hörerin eine Art tönernes Ground Zero: "Gewaltig ist das Schweigen in Stein", heißt es da in bester expressionistischer Manier. Dazu hat der Komponist das Blech, die Streicher, das Schlagwerk "wie zerklüftete Felsen" gegeneinander gesetzt. Allein, die Assoziation trügt. Gut, es gibt Ruinenmusik, Geräuschcluster, züngelnde Glissandi und schockgefrorene Albtraumgesichte auf bebendem Grund. Gut, Cornelia Kallischs Stimme bricht hin und wieder in Panik aus oder erstirbt wahlweise vor Schreck. Und dennoch zerbirst ihr Gesang so wenig, wie der musikalische Funke überspringt. Die Solostimme bleibt ein Instrument unter vielen.

Vielleicht ist dies kompositorische Absicht. Aber Holligers Trakl-Lieder, so intim sie daherkommen, sind weniger minimalistisch als simpel gestrickt. In "Trompeten", dem an diesem Abend uraufgeführten Werk aus dem noch unvollendeten 5-teiligen Zyklus, überwiegt die Lautmalerei. Wenn die Hirten ihren Nachtgesang anstimmen, erklingt die Solovioline, der Wahnsinn ist ein Schrei, und zu Trakls "Trompeten" schmettern - die Trompeten. Wer hätte das gedacht.

Eingerahmt hat Holliger sein eigenes Werk mit Haydns Trauersymphonie und Schumanns "Rheinischer". Seine neuen Trakl-Vertonungen seien in Bezug auf seine früheren aus den 60ern wie "ein Blick in den Spiegel nach 30 Jahren", so der Komponist. Auch Haydn mit seiner kanonischen Stimmführung und dem kontrapunktisch zugespitzten Thema des Kopfsatzes nimmt er wie eine Selbstbetrachtung. Der Kanon als Kunst des Nach-Denkens, als gnadenlose Selbsterkenntnis oder auch fahle Vision. Aber schon hier dominiert der sportliche Ansatz: keine Zeit zum Atem schöpfen, Geschichte geht voran. Und während Schumanns Frohsinn zunächst noch trotzig erkämpft wird, weiß Holliger mit dem archaisch schroffen Posaunen-Trio des langsamen Satzes nichts mehr anzufangen. Der symphonische Fluss gerinnt zur zähflüssigen Lava - ein Endzeit-Klangbild, über das sich Holliger hinwegmogelt. Das tänzerisch Kokette liegt ihm mehr. So endet der Abend, wie er begann, mit der sattsam bekannten musikalischen Geschmeidigkeit der Philharmoniker. Die Leichtigkeit des Seins in ihrer allzu erträglichen Variante.

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