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Kultur: Musik in Berlin: Schlafen in der Stille

"Es ist nicht irritierend, zu sein, wo man ist." John Cage konnte das so einfach sagen, hat er sich doch nie zu den Studios der DDR-Rundfunkzentrale in der Köpenicker Nalepastraße aufgemacht.

"Es ist nicht irritierend, zu sein, wo man ist." John Cage konnte das so einfach sagen, hat er sich doch nie zu den Studios der DDR-Rundfunkzentrale in der Köpenicker Nalepastraße aufgemacht. Nie ist er in einer Kleingartenkolonie hängen geblieben, nie hat er zögernd den Schritt durch halb abgerissene Barackenzeilen gelenkt. Doch auf Veranstalter zeitgenössischer Musik übt der schlummernde Klanggigant an der Spree eine magische Anziehungskraft aus. Vergilbt und unzeitgemäß großzügig reihen sich akustisch perfekte Säle aneinander. Hier, auf den Fluren und Treppen der versunkenen Studiowelt, hat die Stille viele Farben und jeder Raum einen sanft spürbaren Atem. Für das MaerzMusik-Festival wagten es Volker Straebel und Matthias Osterwold, das verwaiste Gelände zwölf Stunden lang zu okkupieren, um "Simultanität und Stille im Werk von John Cage um 1952" erleben.

Was klingt wie die Endlos-Dissertation eines angegrauten Musikwissenschaftlers, fand ein entspanntes Publikum, das nicht verbissen auf die Coolheit des Avantgarde-Übervaters Cage fixiert war. So selbstverständlich wie die Anreise per Bus-Shuttle wurden Schuhe aufgeschnürt und Podien in Liegewiesen verwandelt. Auch ein menschenfreundlicher Hinweis im von Dieter Schnebel mit warmem badischen Tonfall aufgeführten "Vortrag über nichts" fand dankbare Nachahmer: "Wenn jemand schläfrig ist, soll er schlafen."

Mit einem zarten Einstieg in den Kosmos von komponierter Stille und sich überlappenden Klangverläufen begann der Cage-Marathon bereits am Nachmittag mit der Uraufführung von Michael Hirschs "Das Konvolut, Vol. 1". Mitglieder und Gäste des Kammerensembles Neue Musik (tragender Klangkörper der Veranstaltung) bevölkerten das Foyer vor dem großen Sendesaal. Während der Tuba-Spieler lässig auf einer Liege lagert, gerät die Sängerin beim Anblick ihrer ausgeschütteten Handtasche in Panik, ein verwunschenes Streichtrio kontrastiert mit dem aufgekratzten Dialog zwischen Piccolo-Flöte und Klarinette, die Trommel probt Gewitter. Vorproduzierte musique concrète aus Lautsprechern weitet den Klangraum ins Ungewisse. Musik als Raumspiel, Spielraum, Traumspiel. Dieser Spur folgen die weiteren Uraufführungen des Cage-Tages, die die grafisch notierte Partitur "Fontana Mix" des Musikpoeten neu interpretierten: als stilisierte U-Bahn-Szene, als kompakte Klangstele, als atemlose Stimmperformance oder als knusperndes Netzwerk-Spiel. Wem dies auf Dauer gar zu minimalistisch zu Ohren kam, fand in der Tiefe des Abhörraums Gelegenheit, die Aufführungen aller Säle simultan zu erleben. Oder im Hörspielbereich eine Tür aus der Geräuschrequisite krachend ins Schloss zu werfen.

"Es ist nicht irritierend, zu sein, wo man ist", sagte Cage, "es ist nur irritierend, zu denken, man wäre gern irgendwo anders." Daran dachte niemand - trotz der kargen Verpflegung, der auch die Erinnerung an großartige Kochrezepte des Pilzexperten Cage nicht entgegenkam. Nach Mitternacht, in Trance versetzt von Wellen schwebender Schönheit, mit denen Teodoro Anzellotti das schummrige Foyer flutet, sehen BVG-Mitarbeiter wie Heilige aus. Müde Musikfans lächeln wie Engel.

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