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Kultur: Musik In Berlin: Schleppe tragen

Sie gilt als "zickig" und zieht einen Kometenschweif skandalträchtiger Histörchen hinter sich her - vom "Fight the Battle"-Sticker erboster Kollegen an der New Yorker Met bis zu heftigen, den jeweiligen Abend mitunter gefährdenden Auseinandersetzungen über die Wahl der richtigen Kleiderbügel und Luftbefeuchter in der einzig richtigen Garderobe. Auswüchse eines pathologisch übersteigerten Selbstwertgefühls, blöde Primadonnen-Klischees?

Sie gilt als "zickig" und zieht einen Kometenschweif skandalträchtiger Histörchen hinter sich her - vom "Fight the Battle"-Sticker erboster Kollegen an der New Yorker Met bis zu heftigen, den jeweiligen Abend mitunter gefährdenden Auseinandersetzungen über die Wahl der richtigen Kleiderbügel und Luftbefeuchter in der einzig richtigen Garderobe. Auswüchse eines pathologisch übersteigerten Selbstwertgefühls, blöde Primadonnen-Klischees? Sie sei immer nur so schwierig wie nötig, gab Kollegin Callas in diesem Zusammenhang einst zu Protokoll. Aber das soll jetzt kein Vergleich sein.

Kathleen Battle demonstriert bei ihrem Auftritt im Konzerthaus zunächst, was man mit einer opulenten Schleppe (Rohseide weiß) so alles anfangen kann. Hoch über die Schultern gezogen erzeugt diese eine Art neapolitanischen Halskrauseneffekt - genau das Richtige, um den gespenstischen gestischen Aufwand, den die Sopranistin mit Franz Schuberts Canzonen D 688 trreibt, zu verhüllen. Battle scheint über die Maßen nervös, grimassiert, schnippt Fusseln vom Flügel, hustet frech zurück in den hustenden Saal und lässt Philip Moll, ihren ergebenen Begleiter, zwischen den Liedern warten. Auf Ellenbogenniveau heruntergelassen wiederum entblößt die Schleppe nicht nur Dekolleté und Atemtechnik, sondern auch erhebliche stilistische Mühen: Der Schubert der Canzonen ist nämlich keineswegs der gleiche wie der in "Der Hirt auf dem Felsen".

Neun Jahre liegen dazwischen, viel Leid, viel Depression, viel Krankheit zum Tode. Wenn der Gesang freilich zwitscherig bleibt und soubrettenhaft unanfechtbar, wenn alle Spitzentöne bedenkenlos Bäuche tragen ("si-hi-hingen") und aller Ausdruck nur in Posen endet, dann versteht das keiner, dann gerät selbst Schubert fast zur Karikatur.

Zu Ravels "Shéhérezade" nach der Pause schließlich rafft Battle beide Enden ihrer Stola (Rohseide pink) beherzt zusammen: Obgleich ihre Stimme vor allem in der Höhe inzwischen hörbar an Grenzen stößt, liegt ihr das französische Repertoire besser. In virtuosen Phrasierungen, mit flirrenden Piani und sanft gurgelnden Vibrati gerät "La flute enchantée" zum Höhepunkt des Abends. Und wie urmusikalisch Battle am Ende die einhellig bejubelten Spirituals auch auskostet, ja genießt - weniger Selbstinszenierung wäre ganz gewiss mehr Musik gewesen.

Christine Lemke-Matwey

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