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MUSIKGESCHÄFT: Erfolg & Eigensinn

Der Siegfried Unseld des Indie-Rock: Seit zwanzig Jahren sind Christof Ellinghaus und sein Label City Slang eine Größe des Genres. Bei einem Treffen in Kreuzberg zieht er Bilanz.

Um mit Christof Ellinghaus vom Berliner Label City Slang zum Kern seiner Tätigkeit zu kommen, braucht es nicht mehr als einen Begrüßungshandschlag und die Klärung der Frage, was man denn trinken wolle. Da steht der 47-Jährige also an der Espressomaschine seines Souterrain-Büros in der Kreuzberger Dieffenbachstraße, füllt Kaffee nach, stellt die Tässchen in Position, und schon sprudelt es aus ihm heraus. Dass er es damals bei der Plattenfirma Labels/EMI nicht mehr ausgehalten hätte, „die neue Marketingkampagne für Reamonn planen, nein. Oder schnell das Büro der Firma in München abwickeln, nein, das alles war nicht mehr meins“.

Oder dass er neulich beim 70. Geburtstag des mit ihm befreundeten Literaturkritikers Heinz-Ludwig Arnold Leute aus der Buchbranche kennengelernt hätte: „Die erzählten mir, dass ein Buch, das sich gut verkauft, viele andere erst ermöglicht oder die Bilanzen eines Verlages zu retten vermag – das ist ja wie bei uns!“ Und sofort ist Ellinghaus dann auch bei seiner momentanen Erfolgsband, den aus Kanada stammenden Arcade Fire, „die uns mit ,The Suburbs‘ gerade mal wieder die gesamte Saison finanzieren. Was kein Wunder ist: Das Album ist ein Hammer!“

Als die Espressi fertig sind, setzt sich Ellinghaus an seinen Schreibtisch, fährt kurz mit der Hand über sein kurz geschorenes, graues Haar und erklärt, bereit für weitere Fragen zu sein. Fragen, die sich nach diesem fulminanten Intro fast erübrigen. Ellinghaus ist Geschäftsmann, Musikbranchenkritiker und Fan zugleich.

Er kann auf Anhieb die aktuellen Albumverkaufszahlen seiner Bands herunterrattern und im gleichen Atemzug die Schwierigkeiten beklagen, unbekannte City-Slang-Acts in die Musikmärkte zu bringen oder überhaupt Abnehmer dafür in Europa zu finden: „In ganz Österreich gibt es gerade noch fünf gescheite Plattenläden.“ Und natürlich versteht er es, in den schillerndsten Farben die Vorzüge des diese Woche bei City Slang erscheinenden Albums von Junip zu schildern, einer Band des schwedischen Neo-Folksängers José Gonzales.

So ist es weniger die Tatsache, dass er nichts anderes gelernt hat, wie Ellinghaus gern betont, sondern vielmehr diese Mischung aus Geschäftstüchtigkeit, Eigensinn und ungebrochenem Enthusiasmus, die ihn im November den 20. Geburtstag seines Labels feiern lässt.

In dieser Zeit hatte City Slang nicht nur eine Band, die das Label am Leben hielt. 1994 war es das zweite Album der Cobain-Witwe Courtney Love mit ihrer Band Hole; Ende der Neunziger schaffte es Ellinghaus mit Calexico und Lambchop in die Charts. Und nochmal einige Jahre später entdeckte er Judith Holofernes und Wir sind Helden – das dann schon als Geschäftsführer von Labels, einem Verbund mehrerer europäischer Labels, darunter City Slang, der unter dem Dach des Musikkonzerns EMI firmierte. Heute beschreibt Ellinghaus diese Zeit als „vor allem lehrreiche Erfahrung“, zumal der Job sehr gut bezahlt war und er bis 2003 viele Ideen umsetzen, sprich: eher schwierige Bands veröffentlichen konnte.

Als die Musikindustrie ins Schlingern geriet, zeigte aber auch die EMI ihr wahres Konzerngesicht. Auf einmal sollte Ellinghaus jede Woche eine Band wie Wir sind Helden aus dem Hut zaubern oder sich um „so einen alten Langweiler wie Bryan Ferry“ kümmern – was weit jenseits seiner Vorstellungen von guter Popmusik lag. Also ging es für ihn 2005 zurück auf Start, in einer Zeit, in der die Krise der Branche auch die kleinen Labels erreicht hatte. Ein Beispiel dafür ist, dass Ellinghaus seit seiner wiedergewonnenen Unabhängigkeit in der Dieffenbachstraße schon seinen dritten Standort hat: Büros, die er sich mit anderen Labels in Wilmersdorf und in Kreuzberg geteilt hatte, waren nach Label-Verkäufen oder Umstrukturierungen plötzlich zu groß oder zu teuer für City Slang.

Auch in dem Hinterhofkeller in der Dieffenbachstraße residiert City Slang nicht allein. Hier haben die Produktmanager eines anderen Labelverbunds sowie eine weitere kleine Plattenfirma ihr Büro, hier arbeiten selbstständige Booker, Agenten und Marketingleute, die sich um Konzerte, Vertrieb, Medienarbeit oder Merchandising kümmern. Man teilt sich die Miete und den einen oder anderen Mitarbeiter – und man tauscht sich auch in kreativer Hinsicht aus. „Und jeder von den 20 Menschen hier arbeitet am Anschlag“, so Ellinghaus.

Indie-Geschäft 2010. Spricht man mit Ellinghaus über die veränderten Geschäftsbedingungen für Musiklabels, wirkt er jedoch erstaunlich entspannt. Über das kostenlose Musikherunterladen kann er sich zwar ereifern, über die „Geiz- ist-Geil-Gesinnung“ nicht zuletzt von Hörern aus seiner Generation. Trotzdem sieht er das Ganze pragmatisch. Er weiß, dass ein Zehntel der bisher ausgelieferten Arcade-Fire-Alben im Internet verkauft wurde, dass es dieses Jahr Monate gab, „wo wir 40 Prozent digitalen Umsatz hatten“ – und dass gerade auch ein kleines Label das Internet als zusätzliches Marketinginstrument nutzen und Links zu Facebook, Twitter oder Myspace herstellen muss. Zumal es in den Old-School-Medien nicht einfacher geworden ist. „Da hast du die Bands, die eine Million Platten verkaufen, und irgendwelche gehypten Newcomer und dazwischen nur noch ganz, ganz wenig.“

Aus diesem Grund kam er 2008 auf die Idee, ein nagelneues Lambchop-Album der Musikzeitschrift „Rolling Stone“ beizulegen, um „die Medien, die nicht mehr über Lambchop berichten, zu umgehen und der Band vielleicht so neue Hörerschichten zu verschaffen“. Das brachte ihm viel Kritik ein, und eine große Handelskette nahm aus Protest gegen dieses Geschäftsgebaren das Lambchop-Gesamtwerk gar kurzfristig aus dem Sortiment. Heute, sagt Ellinghaus, würde er so eine Aktion nicht wiederholen, „sie war leider ein Kommunikations-GAU“.

Doch diese Werbeidee zeigt, wie kreativ der City-Slang-Chef ist. Wie er sich für die Bands einsetzt, deren Alben er seit Jahren veröffentlicht. Er ist eine Art Autorenverleger, ein Siegfried Unseld der Musikbranche, ein Labelbetreiber, der Gesamtwerke generiert, wie das von Lambchop, die seit 1996 bei City Slang sind, oder Calexico (seit 1998), und der auch nach schwächeren Alben nicht abwinkt. Ellinghaus, der inzwischen mit Frau und Kindern in Zehlendorf wohnt, steht immer noch zu seiner subkulturellen Sozialisation und arbeitet nach dem Grundsatz, nur Musik zu veröffentlichen, hinter der er hundertprozentig stehen kann.

So gerät er, „gerade weil wir hier über soviel Unbill reden“, noch einmal ins Schwärmen über das Berliner Arcade- Fire-Konzert: „Das war so toll, danach haben ja alle mindestens zehn Zentimeter über dem Boden geschwebt, ich auch: In solchen Momenten weißt du wieder, warum du das alles machst.“ Gerrit Bartels

CITY SLANG STAGE Berlin Festival, Flughafen Tempelhof, Hangar 5, Fr 10.9., ab 19 Uhr mit Junip, Caribou, Norman Palm, Barbara Panther, Zola Jesus

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