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Tätä! Junge Trompeterin demonstriert die Vorzüge der Ventiltechnik.

© Archiv Dirk Arzig

Musikinstrumentenmuseum: Heilig's Blechle: Ventilblasinstrumente

Technik, die begeistert: Das Berliner Musikinstrumentenmuseum feiert mit der Ausstellung „Valve. Brass. Music“ 200 Jahre Ventilblasinstrumente. Zu sehen sind Rarität wie Trompeten mit nur einem oder auch mit vier Ventilen oder ein Double Bell Euphonium mit einem Mundstück aber zwei Schalltrichtern.

Diesmal liegt das Berliner Musikinstrumentenmuseum genau richtig. Dort nämlich, wo 1984 die lichte Ausstellungshalle nach Plänen von Hans Scharoun als Anhängsel der Philharmonie errichtet wurde, befand sich einst die legendäre Gartenwirtschaft „Kempers Hof“. 1812 gegründet, wurde das Restaurant bald zum beliebten Treffpunkt der Tiergartenbesucher – und damit zum attraktiven Konzertort für Blaskapellen. Hier lernten die Berliner nicht nur die neuesten Melodien aus Oper und Operette kennen, sondern auch die revolutionäre Ventiltechnik, die aus den eigentlich auf wenige Naturtöne beschränkten Hörnern, Trompeten und Kornetten plötzlich Alleskönner-Instrumenten machte.

„Die Ventile sind die bedeutendste Erfindung im Instrumentenbau des 19. Jahrhunderts“, schwärmt Conny Restle, die Direktorin des Musikinstrumentenmuseums. „Mit einem Schlag waren die Instrumente viel leichter zu spielen – und wurden darum bald äußerst populär.“ Vorher klafften im Tonumfang der Blechbläser große Lücken – denn zwischen dem ersten spielbaren Ton der Naturtonreihe und dem zweiten liegt eine ganze Oktave, zwischen dem zweiten und dem dritten immerhin noch eine Quinte. Erst in höheren Lagen werden die Abstände geringer. Mit den Ventilen nun ließen sich die Lücken schließen: Durch das Niederdrücken des Mechanismus wird das Schallrohr gezielt verlängert, so dass der gespielte Ton wahlweise um einen Halbton, einen Ganzton oder eineinhalb Töne erniedrigt wird. Damit sind chromatische Läufe möglich, aus Signal- werden Melodieinstrumente.

Die bahnbrechende Erfindung wurde vor 200 Jahren auf preußischem Staatsgebiet gemacht. 1814 trifft am Hofe Friedrich Wilhelms III. das Schreiben eines schlesischen Militärmusikers namens Heinrich Stölzel ein. In dem Brief berichtet der treue Untertan seinem König, wie er seine neuen Ventile an einem Horn ausprobiert habe. Das Patent auf die Innovation allerdings muss sich Stölzel 1818 mit dem Hornisten Friedrich Blühmel teilen, der nahezu zeitgleich auf dieselbe Idee verfallen war. Angestachelt durch den massiven Ausbau nationaler Heere und die damit einhergehende Vergrößerung der Militärmusikkapellen, experimentieren bald Instrumentenbauer in ganz Europa mit der neuen Mechanik. Unterschiedlichste Modelle entstehen, vom Kasten- und Röhrenschiebeventil über die Doppelrohrschubventile – wie sie heute noch von den Hornisten der Wiener Philharmoniker verwendet werden – und die „Berliner Pumpe“ bis hin zum heute weltweit gebräuchlichen Périnetventil, das sich ein Pariser Instrumentenbauer 1838 patentieren lässt.

Mit einer umfassenden Präsentation von 140 Exponaten feiert das Berliner Musikinstrumentenmuseum die technische Neuerfindung der seit der Antike bekannten Blasinstrumente vor 200 Jahren. In eleganten Türkis- und Rotfarben strahlen die Wände, auf denen das blitzende Blech präsentiert wird. Viel poliertes Messing ist da zu bestaunen, immer wieder ergänzt durch silberfarbene Legierungen. Da gibt es manche Rarität, Kornette in Saxofon- oder Hornform, Trompeten mit nur einem oder auch mit vier Ventilen, ein Double Bell Euphonium mit einem Mundstück aber zwei Schalltrichtern, das skurrile „Over the shoulder Bugle“, das weit über den Kopf des Spielers hinausragt, oder auch das Sousaphon, dessen tellerförmig ausgestülpter Trichter an alte Grammofonlautsprecher erinnert.

Einträchtig nebeneinander hängen eine Aida-Trompete, die sich Giuseppe Verdi nach originalen Vorbildern für seine Ägypten-Oper bauen ließ, sowie eine Wagnertuba, die – anders als der Name vermuten lässt – zur Familie der Waldhörner gehört und für die dunklen, rauschhaften Mischklänge im „Ring des Nibelungen“ konzipiert wurde. Viele Komponisten ließen sich schnell für die neue Möglichkeiten der Ventil-Blechblasinstrumente begeistern, allen voran Hector Berlioz. Andere lehnten die Innovation dagegen noch lange als modischen Schnickschnack ab und beharrten darauf, dass nur die Naturinstrumente den authentischen Klang hervorbringen könnten, der ihnen vorschwebte. Johannes Brahms nannte Ventilhörner gar „Blechbratschen“.

Aufzuhalten vermochte er den Siegeszug der chromatischen Blasinstrumente freilich nicht. Durch die Industrialisierung wurde bald eine massenhafte preisgünstige Herstellung möglich, zu den Stammkunden aus dem Militär gesellten sich immer mehr Zivilisten: Profi-Unterhaltungsmusiker wie jene vom Kemperplatz im Tiergarten, die Kapellen der Arbeitervereine oder auch Privatleute, die sich für die häusliche Kammermusik so ein goldglänzendes Instrument leisteten. Noch heute übersteigt die Zahl der Blasmusikfans deutlich die der Streichquartettliebhaber – wie man jetzt wieder lautstark miterleben kann, wenn Formationen wie Weltblech am 4. Januar oder Blechschaden am 9. Januar in Berlin ihre Neujahrskonzerte geben werden.

Musikinstrumentenmuseum, Tiergartenstraße 1, bis 27. April, Di-Fr 9-17, Do 9-20, Sa/So 10–17 Uhr, 31.12. geschlossen, 1.1., 12-17 Uhr Infos: www.mim-berlin.de

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